Gespräch mit dem Widerstandskämpfer Hans Landauer Drucken

Gespräch mit dem Widerstandskämpfer

Hans Landauer

Es war kalt und der Weg von Salzburg nach Ober Waltersdorf nicht sehr einladend. Doch es war uns wichtig, die Gelegenheit wahrzunehmen, einen der letzten noch lebenden antifaschistischen Widerstandskämpfer Österreichs zu treffen. Wenn auch viel darüber geschrieben worden ist, war es ein unvergleichliches Erlebnis, einen jener mutigen Menschen persönlich zu treffen, die nicht bereit waren, sich dem Faschismus zu beugen. Im Jahr 1934, als der Faschismus in Österreich die Arbeiterbewegung niederdrückte, war Hans Landauer erst 14 Jahre alt. Obwohl noch fast ein Kind haben die Ereignisse des 12. Februar und seine Folgen ihn so nachhaltig beeinflusst, dass er sich zwei Jahre später entschloss, als Freiwilliger nach Spanien zu gehen, um dort mit den Internationalen Brigaden auf Seiten der Republik gegen den Faschismus zu kämpfen. Im Dezember 2007 hat Talk Together den heute 87-jährigen Hans Landauer im Haus seiner Tochter in Ober Walterdorf nahe Wiener Neustadt besucht und mit ihm über sein bewegtes Leben und seine Erfahrungen gesprochen.


Talk Together: Was war für Sie der Antrieb, dass Sie sich der sozialistischen Bewegung angeschlossen haben?

Hans Landauer: Mein Großvater mütterlichseits war der erste sozialistische Bürgermeister von Tattendorf. Mein anderer Großvater war ebenfalls sozialistischer Bürgermeister und zwar hier in Ober Waltersdorf. Beide waren keine Proletarier, sondern Kleinbauern. Niederösterreich und auch das Burgenland waren Kleinbauernland, hier gab es keine reichen Großbauern wie etwa in Oberösterreich, nur ein großes Adelsgut, daraus ist heute der Golfplatz von Stronach geworden. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die sozialdemokratische Partei der Kleinbauern angenommen. Es wurde eine Bauernvereinigung gegründet, es handelte sich dabei um keinen reichen Bauernbund, sondern um einen sog. Arbeiterbauernbund. Ich bin also in diesem Umfeld aufgewachsen und sozialisiert worden. Als Kind war ich bei den Kinderfreunden und später bei den "Roten Falken" - das Gegenstück zur katholischen Jugendbewegung. Doch als ich 13 Jahre alt war, war es plötzlich mit dieser Entwicklung vorbei, das war am 12. Februar 1934. Ja, schon 1933 war die Sozialdemokratische Partei ins Eck gestellt und ihrer Privilegien beraubt worden, doch 1934 wurde die ganze Bewegung in die Illegalität getrieben. Meine Großväter und ihre Amtskollegen wurden zwangsweise aus ihren Amtsstuben entfernt.

Sie konnten zwar die Partei verbieten, doch gelang es ihnen nicht, das politische Leben innerhalb der Familien und im Umkreis zu verhindern. Wir waren ein Gruppe von Schülern, einer davon war Peter Kubik, den ich von den "Roten Falken" kannte. Auf einem nahe gelegenen Berg, der "Hohen Wand", gab es zwei Berghütten der "Naturfreunde", der alpinen Organisation der Sozialdemokraten (heute sind aus den Hütten Gasthäuser geworden). Dort haben wir uns mit den Freunden aus den Nachbarorten heimlich getroffen. Damals waren wir politisch schon ziemlich weit nach links abgedriftet. Bei mir war das eine Entscheidung, die mehr aus dem Herzen kam als aus dem Kopf. Ich kannte nicht den Unterschied zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten oder Trotzkisten, wir haben uns einfach zu der linken Bewegung hingezogen gefühlt.

Talk Together: Wie haben Sie den 12. Februar und die Zeit danach erlebt?

Hans Landauer: Den 12. Februar haben wir nur über das Radio erlebt, in Ober Waltersdorf gab es ja keine Kämpfe. Wir hörten, wie die Arbeiter in Linz und Wien kämpften, wie die Staatsmacht siegte und die sozialdemokratischen Gemeinderäte entfernt und an ihrer Stelle kleriko-faschistische Vertreter eingesetzt wurden. Mein Großvater hatte damals ein Glashaus, dort waren verschiedene Dinge von der Sozialdemokratischen Partei gelagert: Flugblätter und Aufkleber mit Parolen in rauen Mengen. Es wurde für uns Jugendliche ein Spiel, am Abend die Aufkleber im ganzen Ort zu verteilen. Damit wollten wir das Signal geben: "Wir sind noch da". Mein Großvater bekam in dieser Zeit des öfteren Besuche von anderen abgesetzten Bürgermeistern und Gemeinderäten wie ihn. Einer dieser Besucher hat dann einmal ein Paket dagelassen. Da sagte mein Vater zu mir: Fahr mit diesem Paket nach Trumau! Ich kannte den Inhalt des Paketes nicht, da wurde ich neugierig und habe es aufgemacht. Was ich darin fand, waren die ille­gale "Arbeiterzeitung", die "Rote Fahne", "Der Schutzbünd­ler" und andere verbotene Printmedien, die von Tschechien aus, wohin die SP-Spitze 1934 geflohen war, eingeschmug­gelt wurden. Lange war ich der Meinung, dass ich der einzige Schuljunge war, der diese Arbeit gemacht hat, bis ich bei meiner Historikerarbeit beim "Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands" erfuhr, dass es auch andere gegeben hat. Ich hörte von einem Fall in Kärnten, dieser Junge hat sich aber entweder weniger geschickt angestellt oder weniger Glück gehabt als ich und wurde erwischt.

Talk Together: Wie haben Sie vom Spanischen Bürgerkrieg erfahren?

Hans Landauer: Wir gingen in die Hauptschule Guntramsdorf, im Winter fuhren wir mit dem Zug dorthin. Im Sommer fuhr ich gemeinsam mit dem Sohn eines Melkers und dem Sohn eines jüdischen Lumpensammlers mit einem klapprigen Fahrrad zur Schule, denn unsere Eltern hatten nicht genug Geld, um für uns auch im Sommer Fahrkarten zu kaufen. Damals herrschte hohe Arbeitslosigkeit, ich hatte jedoch das Glück, nach der Schule in einer Weberei als Blattbindergehilfe eine Arbeitsstelle zu finden. Hier in der Gegend hat es neben der Landwirtschaft lange auch eine Textilindustrie gegeben und somit auch Proletarier. In dieser Fabrik gab es eine illegale Gewerkschaft und eine Kommunistische Parteiorganisation. Von ihnen hörten wir die Nachricht vom Ausbruch des Bürgerkriegs in Spanien. Im Juli 1936 erschienen in ihren Zeitungen Artikel, die besagten, dass in Spanien ehemalige Schutzbündler, die nach 1934 aus Österreich ins Ausland geflohen waren, auf der Seite der Republik kämpften und gefallen waren.

Die Spanische Republik war aus den Wahlen am 11. Jänner 1936 hervorgegangen, eine Volksfrontregierung, die aus Sozialisten, Kommunisten, Linksdemokraten, Baskischen Nationalisten und Katalanischen Autonomisten bestand. Nur die Anarchisten waren nicht bei dem Wahlbündnis - sie bezeichneten das Parlament als einen Korb fauler Äpfel und sie wollten ihre gesunden Äpfel nicht dazugeben, damit sie nicht auch faulig würden. Sie haben die Kandidaten aber gewählt, schließlich gab es 1000 anarchistische politische Gefangene, denen von der Volksfront bei einem Wahlsieg die Amnestie versprochen wurde. Doch bereits einige Monate nach Amtsantritt der neuen Regierung, am 17. Juli 1936, putschten einige "Afrikanistas" - Offiziere aus den spanischen Kolonien in Marokko. Sie gingen äußerst brutal vor und stellten alle an die Wand, die nicht mitmachten. Es gelang ihnen aber nur in einigen Landesteilen und den Städten Sevilla, Burgos und Salamanca die Macht zu ergreifen, in Madrid, Barcelona, Valencia und in den Industriegebieten des Nordens schafften sie es nicht - Madrid blieb bis zum Ende republikanisch. Spanien war aufgeteilt wie ein "Fleckerlteppich", erst nach einem halben Jahr bildeten sich die Frontlinien zwischen den Kriegsparteien heraus. Während die Putschisten vom ersten Tag an massive Unterstützung von den faschistischen Mächten Deutschland und Italien bekamen, entschieden sich England und Frankreich zur Nichteinmischung und halfen damit den Putschisten. Anfangs blieb auch die UdSSR neutral, später schickten sie jedoch Waffen und Berater, wofür sie sich allerdings bezahlen ließen. So wurde nach und nach der Goldschatz der Spanischen Republik nach Moskau transferiert. Die Republikaner hätten auch gerne in anderen Staaten Waffen gekauft, doch niemand gab ihnen welche. Franco dagegen wurde von Firmen wie Exxon - heute ein multinationaler Ölkonzern - großzügig mit Krediten unterstützt.

Talk Together: Wann haben Sie sich entschlossen, nach Spanien zu gehen?

Hans Landauer: Nach dem Ersten Weltkrieg etablierte sich der Faschismus in den meisten Teilen Europas. Deshalb ergriff uns sofort Sympathie für die Spanische Republik, handelte es sich doch um das einzige Land in Europa, wo den Linken ein Sieg gelang. Ich war damals 16 Jahre alt, hatte weder Marx gelesen (das habe ich später getan), noch wusste ich, wer Lenin oder Trotzki waren. Die linken Zeitungen hatten ein großes Verteilernetz, dort gab es zahlreiche Informationen über die "Internationalen Brigaden" und auf welchen Wegen man nach Spanien gelangen konnte. Wir waren vier, zwei aus Ober Waltersdorf und zwei aus Möllersdorf, die beschlossen, nach Spanien zu fahren. Obwohl ich mit 16 Jahren der weitaus Jüngste war, hatte ich als einziger einen Pass - das war etwas Besonderes, denn kaum ein Arbeiter besaß damals einen Pass. So brachen wir am 19. Juni 1937 auf nach Wien, dort bekam ich 150 Schilling für die Reise - die Bahnfahrt hin und retour kostete 102 Schilling (man musste eine Rückfahrkarte kaufen, um nicht verdächtig zu erscheinen), die restlichen 48 Schilling waren Reisegeld - und eine Kontaktadresse in Paris. Die Fahrt dauerte 24 Stunden. Ich konnte als einziger die Grenze passieren, meine Kameraden mussten vor der Schweizer Grenze aussteigen, den Zug verlassen und sich mittels eines Schleppers über die Grenze leiten lassen. Deshalb kam ich als Erster in Paris an und traf acht Tage vor meinen Kameraden in Spanien ein.

Als Treffpunkt in Paris war ein Café vereinbart, wo ich einen "Café au Lait" bestellen und nach einem Monsieur Max fragen sollte. Es stellte sich dann heraus, dass Monsieur Max ein Ottakringer war. Als der meinen Pass sah, reagierte er mit folgenden Worten: „Hearst, bist deppert? Wir schicken doch keine Kinder nach Spanien!“ Doch ich war entschlossen, mich nicht nach Hause schicken zu lassen. Ich überzeugte ihn davon, dass dies der Pass meines Cousins und ich bereits 18 sei – doch das war noch immer nicht alt genug. Erst nach meinem Einwand: "Wer garantiert, dass ich nicht rede, wenn ich zu Hause von der Gendarmerie ausfragt werde?" ließ er mich fahren. Im Juni 1937 war das österreichische Bataillon "12. Februar 1934" gegründet worden. Ich kam zu dieser Einheit, bei der ich eineinhalb Jahre blieb und alle Kämpfe mitmachte. Es gab insgesamt sechs Internationale Brigaden, die jeweils aus 3500 Freiwilligen bestanden, die bunt zusammengewürfelt waren mit Menschen aus 20 unterschiedlichen Nationen. Da gab es aufgrund der verschiedenen Sprachen natürlich große Verständigungsprobleme. Um die Verständigung zu erleichtern, kam man dann auf die Idee, die Bataillone nach Sprachen einzuteilen. Insgesamt kämpften 30.000 Freiwillige in Spanien, die Zahl verringert sich aber im Laufe der Zeit, weil viele fielen und der Nachschub ausblieb. Die Lücken wurden von Spaniern ausgefüllt, im Jänner 1938 gab es schließlich nur mehr 70 Österreicher (von insgesamt 500 Mann) im österreichischen Bataillon.

Talk Together: Was passierte nach der Niederlage?

Hans Landauer: Am 23. September 1938 wurden die Internationalen Brigaden demobilisiert und die Kämpfer nach Hause geschickt. Heimgehen konnten allerdings nur diejenigen, die aus einem demokratischen Land wie Schweden, den USA oder England gekommen waren. Wir Österreicher, Deutsche, Tschechen, Polen und Spanier konnten nirgendwo hin: 500.000 Menschen flüchteten deshalb nach Nordost-Spanien und von dort nach Frankreich in die Zone, die noch nicht von den Nazis besetzt war. Doch dort wurden wir allerdings als feindliche Ausländer angesehen und im Lager Gurs interniert. Je 50 Personen wurden in eine Baracke gepfercht, es gab keine sanitären Einrichtungen und es herrschten katastrophale hygienische Zustände. Da rundherum alles von faschistischen Mächten beherrscht war, saßen wir dort wie in einer Rattenfalle, umzingelt von unseren Verfolgern. Ich brach drei Mal aus dem Lager aus, was nicht schwer war, wurde jedoch jedes Mal aufgegriffen. Beim dritten Mal wurde ich wegen Reisens ohne Personalpapiere verhaftet und ins Gefängnis nach Toulon gebracht. Danach wurde ich nach Paris geschickt, wo ich vernommen und anschließend in einer mehrwöchigen Reise quer durch Deutschland über Trier, Würzburg und München nach Wien verfrachtet wurde. Dort wurde ich wie alle gefangenen Spanienkämpfer von der Gestapo vernommen. An meinem 20. Geburtstag, am 19.4.1941, wurde ich wegen Vorbereitung zum Hochverrat angezeigt und nach Dachau transportiert, wo ich bis zum Ende des Krieges interniert war. Und da habe ich noch Glück gehabt, denn Dachau war ein Lager, in dem es Überlebenschancen gab, im Gegensatz zu Mauthausen oder Gusen, wo die Überlebensdauer der Gefangenen oft nur ein paar Monate betrug.

Talk Together: Was waren die Ursachen für das Scheitern des Kampfes für die Spanische Republik?

Hans Landauer: Auch wenn manche etwas anderes behaupten, unser Ziel war es, die Demokratie zu verteidigen und den Faschismus abzuwehren. Sicherlich hat die Uneinigkeit die Linken geschwächt. Ich vergleiche die Situation mit einem mehrstöckigen Haus, wo in jedem Stockwerk ein anderer Mieter wohnt. Jeder Mieter kann eine eigene Meinung darüber haben, wie er seine Wohnung einrichten möchte, wenn jedoch der Dachstuhl brennt, müssen alle zusammen helfen, um das Feuer zu löschen. Wenn nun ein Mieter sagt, das interessiert mich nicht, ich richte meine Wohnung ein, ist das sehr gefährlich. Und der Dachstuhl hat wirklich gebrannt. Die Anarchisten und Teile der Linkssozialisten wollten um jeden Preis sofort Revolution machen, wir dagegen sagten: Wir müssen zuerst den Krieg gewinnen. Doch heute, im Nachhinein gesehen, denke ich, wir haben überhaupt nie eine Chance gehabt. Auch wenn sich verschiedene Teile der Linken gegenseitig die Schuld an der Niederlage zuweisen, glaube ich, dass die spanische Republik nicht den Krieg gegen drei Mächte gewinnen hätte können. Wenn man bedenkt, wie schwer es selbst den Alliierten gefallen ist, die über genügend Waffen verfügten, Hitler zu besiegen!

Talk Together: Können Sie uns über die schlimmsten Tage ihres Lebens erzählen?

Hans Landauer: Krieg ist nie schön, und es gibt auch kein Heldentum. Ich hatte glücklicherweise nur leichte Verletzungen an der Hand davongetragen, aber andere haben einen Arm oder ein Bein verloren. Noch schlimmer waren aber die vier Jahre in Dachau. Im Konzentrationslager war man ein absolutes Nichts. Wer dort ankam, dem wurde gleich zur Begrüßung gesagt: "Schließ mit deinem Leben ab". Das Schrecklichste war, dass ich zusehen mussten, wie Freunde, die weniger Glück hatten als ich und in der Kiesgrube arbeiten mussten, jeden Tag weniger wurden - im wahrsten Sinne des Wortes: ihr Köpergewicht wurde immer weniger - und ich ihnen nicht helfen konnte.

Talk Together: Was passierte nach der Befreiung?

Hans Landauer: Nach der Befreiung am 29. April 1945 mussten wir noch in Dachau bleiben und durften erst im Juli das Lager verlassen. Meine Mutter, meine Großmutter und die Genossen warteten am Bahnhof in Baden, um mich zu emp­fangen. Ich habe aber den letzten Teil meiner Reise nicht mit dem Zug, sondern zu Fuß zurückgelegt. Als ich in der Dämmerung mit meiner Uniform endlich daheim ankam, stand ein Empfangskomitee von zehn Personen vor dem Haus. Als ich zehn Meter entfernt war, erkannte mich meine Mutter und rief: "Jessas Maria, der Hansi ist da!" Die Nacht verbrachte ich mit meiner Mutter im Kabinett und erzählte die ganze Nacht lang von meinen Erlebnissen. Ein betrunkener sowjetischer Soldat, ein Ukrainer glaube ich, schaute beim Vorhang zum Fenster herein. Meine Mutter, die Tschechisch sprach, sagte zu ihm: "Das ist mein Sohn, er ist gerade aus Dachau zurückgekommen!" Ein halbes Jahr später wurde dieser Soldat bei uns einquartiert und hat zwei Jahre bei uns im Kabinett gewohnt.

Talk Together: Kann man heute, in dieser vom Kapitalismus dominierten Welt, noch eine sozialistische Gesellschaft erwarten?

Hans Landauer: Ich bin heute noch Marxist, aber was eine sozialistische Gesellschaft angeht, bin ich pessimistisch geworden. Der Arbeiterklasse in Europa geht es nicht so schlecht, wir leben aber auf Kosten der Dritten Welt. Mit der EU wurde ein Europa des Kapitalismus errichtet. Man hört ständig Slogans, wie "Geiz ist geil". Was sollte denn am Geiz Gutes sein? Jede Religion sagt doch auch, dass geben besser als nehmen sei, und dass man andere unterstützen soll. Was mich auch sehr ärgert, ist der Spruch: "Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht's uns allen gut". Das ist doch überhaupt nicht wahr! Damit die Manager ihre Millionen einkassieren können, werden Tausende Stellen abgebaut. Und die Medien stehen alle einseitig auf der Seite des Kapitalismus. Auch wenn vielleicht ein Hugo Chavez nicht ideal ist, warum sollte das Erdöl Konzernen aus den USA oder Europa gehören und nicht den Menschen des Landes? Ich habe auch keine Angst vor dem Iran, vor Bush aber schon. Warum sollte nur die eine Seite Atomtechnologie haben dürfen? Es ist doch so: Wer die Macht hat, hat das Recht.

Talk Together: Während die Arbeiterklasse schwach ist, machen sich heute überall fanatische Bewegungen breit…

Hans Landauer: Was mich am meisten stört, ist der Umstand, dass es den Kapitalisten gelungen ist, die Auseinandersetzungen auf das Feld der Kultur zu bringen. Das ist es aber nicht, sondern es ist ein Kampf zwischen Reich und Arm, ein Kampf der Mächtigen der Erde um Macht und Rohstoffe. Wenn ich auch kein Atheist bin sondern Agnostiker, weiß ich, dass es uns nicht gut tut, wenn Leute das Sagen haben, die bewiesene wissenschaftliche Fakten einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen, wie die Fundamentalisten in den USA und anderswo.

Talk Together: Gibt es heute überhaupt noch eine sozialistische Politik?

Hans Landauer: Wer sollte heute eine sozialistische Politik machen? Ich bin seit mehr als 25 Jahren parteilos, aber nicht meinungslos. Wenn ich sehe, wie die Sozialdemokraten der Einrichtung eines Asylgerichtshofes und damit der Abschaffung der Dritten Instanz für Asylwerber zugestimmt haben, oder wie sie Überwachungsmaßnahmen wie die Rasterfandung einführen, da frage ich mich, welche Interessen vertreten sie? Sind das die Interessen ihrer Wähler? In meinen Augen verkaufen sich die meisten Politiker heute wie Prostituierte und vertreten die Interessen der Kapitalisten. Unser Ziel damals war es, die Welt zu verbessern und wir waren dafür auch bereit, Opfer zu bringen. Heute versteht das keiner mehr. Das möchte ich mit einem Beispiel verdeutlichen: Meine Großmutter in Tattendorf hat kurz vor ihrem Tod einmal erzählt, dass sie mit meinem Großvater manchmal geschimpft hat, weil er sogar die eigene Tinte von zu Hause mitgenommen hat, wenn er Arbeiten für die Gemeinde zu erledigen hatte. Mein anderer Großvater fuhr manchmal nach Wien zur Landesregierung. Bei dieser Gelegenheit suchte er in Wien auch eine Samenhandlung auf. Jedes Mal überlegte er dann, ob er seine Fahrkarte verrechnen dürfe, da er ja bei dieser Fahrt auch private Dinge erledigt hatte. Wer kann sich so eine Einstellung heute noch vorstellen, wo jeder nur versucht, möglichst viel abzuzocken?

Talk Together: Gibt es etwas, dass Sie der heutigen Jugend mitteilen möchten?

Hans Landauer: Als ich 16 Jahre alt war, waren wir nicht so abgelenkt wie die Jugend heute, damals waren wir auch optimistischer. Die Jugend heute hat keinen Kompass. In den 1930er Jahren war es einfacher, da hatte ich zumindest das Gefühl, hier ist das Gute (die Demokratie) und dort das Schlechte (der Faschismus). Wir waren überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen, und hielten zusammen. Meine Cousins wussten von meinem Plan, nach Spanien zu gehen. Auch wenn sie an meinem Vorhaben zweifelten, haben sie mich niemals verraten. Und als die illegale Gewerkschaft in der Fabrik eines Tages durch einen Denunzianten verraten wurde, wurden 20 Personen von der Gendarmerie vernommen, aber keiner sprach darüber, dass wir in Spanien waren. Diese Solidarität macht mich noch heute stolz. Ich würde aber heutzutage keinem raten, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, weil ich keine Bewegung sehe, die es wert wäre, dafür mein Leben zu opfern. Das heißt aber nicht, dass es nichts gibt, wofür man sich einsetzen sollte. Meiner Meinung nach ist es heute unbedingt notwendig, sich einzusetzen für das, was die Christen "Schöpfung" nennen, die Natur. Wenn der ökonomische Fortschritt bzw. der Turbokapitalismus in einem kleinen Teil der Welt sich weiter so entwickelt, wird schneller, als uns lieb ist, nicht mehr um Öl, sondern um Wasser oder sogar um Luft gekämpft werden. Wir könnten alle auf diesem Planeten leben wie die Fürsten, denn Ressourcen sind genug vorhanden, sie müssten nur gerecht aufgeteilt werden. Wie, weiß ich auch nicht, aber wenn wir nichts tun, wird die Welt zerstört.


 

Hans Landauer (geb. 1921)

Hans Landauer kämpfte ab Mitte 1937 auf Seiten der Internationalen Brigaden. Nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) wurde er in Frankreich interniert. Er wurde im November 1940 in Paris festgenommen und befand sich vom Juni 1941 bis zur Befreiung 1945 im KZ Dachau in Haft.

Nach Kriegsende wurde Hans Landauer Beamter bei der Kriminalpolizei. Diese Tätigkeit führte Landauer auch nach Zypern, wo er Angehöriger des UNO-Polizeikontingents war, und nach Beirut, wo er als Sicherheitsbeamter an der Österreichischen Botschaft in Beirut arbeitete. Landauer ist verheiratet und lebt heute in Wien und Ober Waltersdorf.

Seit 1983 arbeitet er im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Dort legte er ein Archiv über die österreichischen Spanienkämpfer an. Hans Landauer veröffentlichte gemeinsam mit Erich Hackl das Album Gurs. Ein Fundstück aus dem österreichischen Widerstand (2000) und das Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer (2003).

Hans Landauer: Gegen Faschismus und Vergessen

erschienen in: Talktogether Nr. 23/2008