In Erinnerung an Erich Fried |
In Erinnerung an Erich Fried(1921-1988) von Abdullahi A. Osman Als ich ein Kind war, wurde mir gesagt, die Juden seien stur und arrogant. Da ich aber keinen einzigen jüdischen Menschen getroffen hatte, zweifelte ich, dass das wirklich wahr ist. Auch als ich nach Österreich kam, habe ich ähnliche Meinungen gehört. 1998 beschloss ich, zur jüdischen Gemeinde in Graz zu gehen, weil ich die Realität erfahren wollte. Ich traf dort eine Frau, Anna Maria, die sehr überrascht war, jemand wie mich, einen Afrikaner aus einem islamischen Land zu treffen, der interessiert war, jüdische Menschen kennenzulernen und etwas über die jüdische Kultur zu erfahren. Nachdem ich mit dieser Frau gesprochen hatte, war mir klar, dass die jüdischen Menschen nicht anders sind als alle anderen Menschen, nicht besser und nicht schlechter. Doch dann habe ich das Gedicht „Höre Israel“ von Erich Fried gelesen. Ich war überrascht und tief beeindruckt. Dass ein jüdischer Mensch, der selbst die Verfolgung in der Nazizeit erfahren hat, die israelische Politik derart schonungslos kritisierte, hat mir weitere Türen zum Verstehen geöffnet. Dass er Angehörige beider Nationen gleichermaßen kritisierte, war für mich beachtenswert, denn die meisten anderen Menschen, die ich kenne, sind entweder auf der einen oder der anderen Seite. Erich Fried war ein Weltbürger und ein Mahner, der uns ein Vorbild bleiben soll. Gäbe es mehr Menschen wie ihn und würden solche Menschen von unserer Gesellschaft die gebührende Anerkennung bekommen, würden wir einem friedlichen und menschenwürdigen Zusammenleben auf unserer Erde ein Stück näher kommen.
Nicht als Fremder und nicht als Feind von Hass gegen euch entzündet ich spreche als einer von euch der auch Irrwege kennt
In den Gaskammern und in den Öfen wo eure Familien vergingen wurden auch meine Verwandten vergast und verbrannt
Seither kämpfe ich gegen das was dahin geführt hat gegen die Mächte die Hitler zur Macht verhalfen
Sie sind noch nicht verschwunden von dieser Erde und was tut ihr? Ihr lasst euch von ihnen fördern
Sie wollen das gleiche von euch was sie von Hitler wollten: Ihr sollt Vorposten sein für ihre Ordnung der Welt
Darum muss ich das Bittere sagen in eure Ohren die ihr im Unrecht verstopft wie zur Zeit der Propheten
Auch wenn es bitter schwer ist auch wenn ihr es mit Bitterkeit heimzahlt aber ihr sollt nicht sagen können das sagten nur eure Feinde
und später soll es nicht heißen: zur Zeit als die Juden noch siegten sprach keiner von ihnen gegen ihr eigenes Unrecht
Ihr habt in Europa die Höllen der Höllen erlitten Verfolgung Vertreibung langsamen Hungertod
die Gewalt der Mörder die Hilflosigkeit eurer Schwäche die Urform des Unrechts das nichts als die eigene Macht kennt Ihr habt eure Henker beobachtet und von ihnen den Blitzkrieg gelernt und die wirksamen Grausamkeiten
Was ihr gelernt habt das wollt ihr jetzt weitergeben Kinder des Unrechts erzogen in seinem Bild
Ihr habt nicht von den Völkern gelernt sondern von ihren Herren Ihr seid nicht mehr Opfer der anderen: ihr selbst wollt andere opfern
Eurer vergänglichen Macht von der ihr glaubt sie genügt um den Armen ihr Land zu nehmen auf dem sie saßen
Ihre Gesichter sind euren Gesichtern ähnlich ihre Sprache ist eurer Sprache verwandt
Auch sie taten manchmal Unrecht Nicht alles ist schwarz oder weiß Ihr beide seid gebrannt von der selben Sonne
Aber euer Unrecht war größer denn ihr habt euch Land geben lassen von denen die keine Recht hatten es euch zu geben
zwar ihr selbst wart bedrückt wo ihr herkamt mehr als andere Kolonisten doch die Armen im Land das ihr nahmt waren nicht schuld daran
Zwar ihr selbst wart arm aber immer noch reich gegen die deren Boden ihr kauftet Fast wie die Yankees einst den Indianern.
Erich Fried
Erich Fried wurde am 6. Mai 1921 in Wien geboren und wuchs dort auf, bis ihn der deutsche Einmarsch 1938 „aus einem österreichischen Oberschüler in einen verfolgten Juden verwandelte“. Der Vater wurde von der Gestapo ermordet. Erich schaffte es, nach London zu fliehen und danach seine Mutter und weitere siebzig Verfolgte zu retten und nach England zu holen. Nach dem Krieg arbeitete er als Kommentator beim BBC, gab diese Tätigkeit aber wegen der Position des BBC zum „Kalten Krieg“ wieder auf. Er veröffentlichte Gedichtbände und einen Roman. Auch im Exil arbeitete er mit deutschen und österreichischen Vereinen zusammen. Obwohl er nach dem Krieg gerne wieder nach Österreich oder Deutschland übersiedeln wollte, verwarf er diese Idee aber wegen der Wiedereinsetzung ehemaliger Nationalsozialisten in Amt und Würden in den fünfziger und frühen sechziger Jahre immer wieder. In politischen Fragen nahm Erich Fried Partei für die Unterdrückten ein. Als unermüdlicher Kämpfer für Menschenrechte überwand er sowohl geographische als auch geistige Grenzen. Sein Gedichtband gegen den Krieg in Vietnam löste eine langdauernde öffentliche Diskussion über das politische Gedicht aus. Er war viel unterwegs auf Vortragsreisen, Diskussions- und Solidaritätsveranstaltungen und setzte sich ein für die Rechte von politischen Gefangenen, kritisierte Polizeiübergriffe und Pressekonzentration, schrieb zahlreiche Gedichte über Israel und Palästina. Er fühlte sich verpflichtet sein Volk davor zu warnen, die selben Methoden zu praktizieren, die sie von ihren eigenen Verfolgern gelernt haben. Als Folge wurde er mit Verleumdungen, Zensur und gerichtlicher Klage überzogen. Bald hatte er, der gegenüber seinen politischen Gegnern immer verständnisvoll war, mehr Feinde als Freunde. Anerkennung für sein Werk und sein unermüdliches Engagement wurde ihm erst sehr spät zuteil. Erst als er schon über sechzig Jahre alt und schwer krank war, erhielt er große Literaturpreise. Er starb am 22. November 1988 während einer Lesereise in Baden-Baden und wurde auf dem Kensal-Green-Friedhof in London begraben. (Foto: Heide Heide) Normal 0 21 false false false MicrosoftInternetExplorer4 erschienen in: Talktogether Nr. 1/2003
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