Uri Avnery, unbeugsamer Kämpfer für den Frieden PDF Drucken E-Mail

Ein unbeugsamer Kämpfer für den Frieden

Als Kind floh Uri Avnery mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland nach Palästina. Dort kämpfte er als junger Mann für einen unabhängigen israelischen Staat. Die Erfahrungen des Krieges ließen ihn zum Friedensaktivisten werden. Bis zu seinem Lebensende engagierte er sich mit viel Wissen, Verständnis und unerschütterlichem Optimismus für einen Frieden zwischen Israel und Palästina.

„Gibt es eine israelische Nation? Ja, natürlich. Gibt es eine jüdische Nation? Nein, natürlich nicht. Wir müssen entscheiden, wer wir sind, was wir wollen und wohin wir gehören, oder wir werden zu einem permanenten Status der Unstetigkeit verdammt sein.“ Diese Zeilen schrieb Uri Avnery als Reaktion auf das Nationalstaatsgesetz von 2018, das Israel zum jüdischen Staat erklärte. Avnery hat sich immer entschieden für die Trennung von Religion und Staat und ein Israel ohne Zionismus eingesetzt. Kurz nach diesem Artikel starb er in Tel Aviv. Obwohl er fast 95 Jahre alt wurde, durfte er den Frieden, den er sich immer für sein Land gewünscht hat, nicht erleben.

Vom Untergrundkämpfer zum Friedensaktivisten

Geboren wurde er als Helmut Ostermann im westfälischen Beckum. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 floh er mit seiner Familie nach Palästina, wo sie zunächst in einer zionistischen Landwirtschaftsgenossenschaft lebten. Als Teenager schloss er sich der zionistischen Untergrundbewegung Irgun an, eigenen Angaben zufolge, um gegen die britische Mandatsherrschaft zu kämpfen, verließ diese aber wegen ihrer anti-arabischen und reaktionären Ansichten sowie ihrer Terrormethoden. Im Unabhängigkeitskrieg 1947-49 war Uri Avnery, der mittlerweile seinen Geburtsnamen abgelegt hatte, Mitglied der Kommandoeinheit „Shu’alei Shimshon“ (Samsons Füchse).

Was für jüdische Menschen, die zutiefst traumatisiert dem Holocaust entkommen waren und Sicherheit in einer neuen Heimat suchten, ein Unabhängigkeitskrieg war, bedeutete für 750.000 arabische Menschen einfach nur „Al Nakba“ – das große Unglück: Sie wurden vertrieben vom Boden, von dem sie gelebt und den ihre Vorfahren seit Generationen bearbeitet hatten. Da Avnery in einer mobilen Einheit kämpfte, sah er mehr als andere Soldaten. Er war dabei, wie arabische Dörfer entleert und deren Bewohner*innen vertrieben wurden. Was er schon zuvor gewusst hatte, wurde zur festen Überzeugung: Die Menschen in der Region können nur in Sicherheit leben, wenn es Frieden zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung gibt. Diesem Ziel hat er fortan sein Leben gewidmet.

Kurz vor Ende der Kampfhandlungen wurde Avnery schwer verletzt. In seinem Buch „Die andere Seite der Medaille“ schilderte er die Grausamkeit und die Verrohung der Menschen, die er im Krieg beobachtet hatte, woraufhin ihn manche als Verräter bezeichneten. 1950 übernahm er als Mitherausgeber und Chefredakteur die Wochenzeitschrift „haOlam haZeh“ („Diese Welt“ – im Gegensatz zum Jenseits), zwischen 1965 und 1971 war er drei Legislatur-Perioden Abgeordneter für unterschiedliche linke Kleinparteien in der Knesset, 1993 gründete er mit Gleichgesinnten die Friedensinitiative Gush Shalom (Friedensblock), deren Ziele das Ende der Besatzung der Palästinensergebiete und ein friedliches Zusammenleben beider Völker waren.

Verständnis für unterschiedliche Wahrnehmungen

Uri Avnery hat versucht, den Konflikt aus der historischen Entwicklung heraus zu erklären, wobei er immer ohne moralische Verurteilungen auskam und Verständnis für alle Seiten zeigte. Der Zionismus war im Europa des 19. Jahrhundert entstanden, als dort nationale Bewegungen aufkamen, die allesamt antisemitisch waren. Als Reaktion darauf sagten die Zionisten: Wenn ihr uns nicht wollt, gründen wir unsere eigene Nation. Dass sie die Menschen ignorierten, die in dem Land lebten, das sie besiedeln wollten, war typisch für die europäische Denkweise im Zeitalter des Kolonialismus. Vor 1948 wurde auf der ganzen Welt Geld gesammelt, um Großkapitalisten, die in Beirut, Jaffa oder Monte Carlo lebten, für teures Geld Land in Palästina abzukaufen. Die Menschen hatten die Idee einer Gesellschaft, die auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut ist, wenn diese auch die arabische Bevölkerung nicht miteinschloss. Die Fellachen, die auf diesem Land lebten und es bebauten, wurden nämlich mithilfe der Türken und später der Briten vertrieben. Das Leben im Kibbuz bedeutete harte Arbeit, Entbehrungen und Verzicht. Heute dagegen, kritisierte Avnery, werden mit geraubtem Land Milliardengewinne gemacht. Er war überzeugt, dass die größte Bedrohung für Israel nicht die äußeren Feinde, sondern die innere Korruption sei.

Unerschütterlicher Optimismus

Anfang der 1980er Jahre, nachdem Avnery als erster israelischer Staatsbürger Yasser Arafat getroffen hatte, forderten vier Minister, ihn wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen. Während der Zweiten Intifada reiste er mit anderen Friedensaktivist*innen nach Ramallah, um Arafat als menschliches Schutzschild vor einer gezielten Tötung durch die israelische Armee zu schützen. Am 20. März 2006 schlug Baruch Marzel, Vorsitzender der rechtsextremen Partei Jüdische Nationale Front, im israelischen Fernsehen sogar seine „gezielte Tötung“ vor.

Der unbeugsame Friedensaktivist, der nicht nur verbal, sondern auch physisch angegriffen wurde und 1975 nur knapp ein Messerattentat überlebte, ließ sich von den Attacken weder erschüttern noch von seiner Überzeugung abbringen. Er zeigte sogar Verständnis für die Reaktion derer, die ihn auf der Straße beschimpften: „Ich tue den Leuten etwas an, das Schlimmste, was man jemandem antun kann. Jeder Mensch lebt in einer Welt von vereinfachten Begriffen, um innere Sicherheit zu bekommen. Wenn dann jemand kommt und diese Gewissheit erschüttert, ärgert es ihn und macht ihn wütend.“

Das größte Hindernis für den Frieden sah er darin, dass beide Seiten ein vollkommen unterschiedliches Bild des Konflikts haben, und dass sich die Narrative beider Seiten gegenseitig ausschließen. Krieg erzeuge immer Hass, Vorurteile und Angst. Frieden zu schließen dagegen erfordere, auch die Wahrnehmung der anderen Seite anzuerkennen. Dies sei aber deshalb so schwer, weil dabei psychologische Hürden überwunden werden müssen. Ist der Frieden jedoch einmal erreicht, könnten die Wunden rasch geheilt werden, war er überzeugt, weil alle schnell erkennen werden, dass in einem so kleinen Land eine enge Zusammenarbeit unerlässlich sei: „Wir sind in diesem Land nicht Bewohner auf Zeit. Wir gehören zu diesem Land und wir werden hier noch viele künftige Generationen leben. Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden.“

Quellen: Gespräch mit Renata Schmidkunz, Ö1-Sendung vom 24.08.2018 (oe1.orf.at), wikipedia

veröffentlicht in Talktogether Nr. 89/2024