Endlich wird die Arbeit knapp!
Gefordert von Moral und Leistungsideal verspricht sie uns Anerkennung und Selbstverwirklichung. Doch häufig empfinden wir sie als sinnentleert und eintönig, und wir haben das Gefühl, dass sie unsere Lebenszeit auffrisst. Dennoch sind wir von ihr abhängig, weil ohne sie der Existenzverlust droht. Den zwiespältigen Charakter der Lohnarbeit will die Musiktheaterrevue „Endlich wird die Arbeit knapp“ ergründen, die im März 2018 in der Wiener Urania präsentiert wurde.
„Die Arbeit hoch“ oder „Nieder mit der Lohnarbeit“?
„Es kracht im Gebälk der Arbeitsgesellschaft – und oft auch im einzelnen Menschen selbst“, heißt es im Ankündigungstext. „Immer mehr Menschen wollen aus ihrem Arbeitsverhältnis aussteigen, gleichzeitig herrscht um die wenigen spannenden Jobs ein unwürdiges Gerangel.“ In einer Abfolge von Dialogen und Monologen, Musikeinlagen und theoretischen Vorträgen nähert sich das Stück dem Thema Lohnarbeit an und versucht dabei, das Gedankengut von Marx auf unterhaltsame Weise unters Volk zu bringen.
Am Beginn stehen sich Fordismus und Neoliberalismus im Streitgespräch gegenüber. Während der Fordismus für Vollbeschäftigung und Konsum für alle plädiert, fordert der Neoliberalismus Flexibilisierung und Selbstoptimierung und behauptet, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sei. Nur, was ist, wenn unsere Tätigkeit stumpfsinnig und monoton ist, das Einkommen kaum zum Überleben reicht? Und was ist mit der Arbeit, die unentgeltlich geleistet wird, ohne die unsere Gesellschaft aber zusammenbrechen würde? Solche Einwände werden geflissentlich überhört. Am Schluss kommt es zur Annäherung der beiden Positionen: „Arbeitsplätze erhalten“ ist die Maxime des Fordismus, vertreten durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften, „Jobs schaffen“, übertrumpft ihn der Neoliberalismus. So einigen sie sich am Ende trotz ihrer Gegensätze, denn die Lohnarbeit stellt keiner von beiden in Frage.
In einer anderen Szene begegnet uns die Lohnarbeit als Objekt einer unglücklichen Liebesbeziehung. Der Protagonist klagt, dass er die Geliebte am liebsten loswerden würde, weil sie ihn quält und ihre Versprechen nicht hält, dass er ihr aber verfallen und von ihr abhängig ist. Am Ende siegt die Erkenntnis, dass er sich nicht alles gefallen lassen muss, weil die Lohnarbeit auf den Arbeitenden schließlich angewiesen ist.
„Lohnarbeit kann gut oder schlecht bezahlt sein“, sagt Heide Hammer, eine der Autorinnen und Schauspielerinnen im Interview mit Rainer Hackauf, doch unabhängig davon markieren „Kapital und Arbeit gesellschaftliche Positionen und beschreiben ein gesellschaftliches Verhältnis“. Marx spricht in diesem Zusammenhang vom „doppelt freien Lohnarbeiter“. Auf der einen Seite frei, weil er keinen Feudalherrn oder Sklavenbesitzer hat, an den er gebunden ist, und es ihm deshalb freisteht, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. Auf der anderen Seite auch frei vom Eigentum an Produktionsmittel muss er, um zu überleben, die einzige Ware verkaufen, die er besitzt – seine Arbeitskraft.
Weil das Kapital heute Lohnunterschiede global vergleichen und ausnutzen kann, arbeiten in der Produktion Menschen in verschiedenen Teilen der Erde zusammen. Die Globalisierung von Arbeit und Produktion wurde im StĂĽck am Beispiel von Arbeiter*innen rund um den Erdball veranschaulicht, die Botschaften auf den von ihnen hergestellten Teilprodukten hinterlassen, um miteinander in Kommunikation zu treten. Doch das gelingt ihnen nicht. Sie sind durch den Produktionsprozess zwar miteinander verbunden aber gleichzeitig voneinander und auch von ihrem Produkt getrennt.
Die Kooperation vieler im selben Produktionsprozess oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen bezeichnet Karl Marx als gesellschaftliche Arbeit. Die Kombination der begrenzten Fähigkeiten und Kenntnisse des oder der Einzelnen führt dabei zu ganz erstaunlichen Leistungen. Auf der anderen Seite trennt die Teilung der Arbeit die Produzent*innen von ihrem Produkt und verkrüppelt sie, indem sie ein Detailgeschick auf Kosten der anderen fördert und sie in ein Anhängsel der Maschine verwandelt.
Den Maschinen die Arbeit, uns das VergnĂĽgen
„Das Reich der Freiheit beginnt, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört“, hat Karl Marx vor 150 Jahren geschrieben. Heute gibt es Maschinen, Roboter und Computerprogramme, die uns viele Arbeiten abnehmen, Gebrauchsgüter können mit einem viel geringeren Einsatz an Arbeitskraft erzeugt werden. In Fabrikhallen, wo früher Hunderte Arbeiter schufteten, sitzen heute nur noch wenige, um eine immer ausgefeiltere Technologie zu bedienen. Zudem herrschen im Vergleich zur Größe des Marktes in vielen Branchen Überproduktion und Überkapazitäten. Müssten wir also nicht mehr so viel arbeiten, um das zu produzieren, was die Menschheit zum Leben braucht? Vielleicht würden ja ein oder zwei Tage pro Woche ausreichen, und wir könnten den Rest unserer Zeit damit verbringen, dem Müßiggang zu frönen oder selbst bestimmten Tätigkeiten nachzugehen.
Auszehrende und monotone Arbeiten durch Maschinen zu ersetzen, hält Autor und Schauspieler Kurto Wendt für einen zivilisatorischen Fortschritt, der bejaht und forciert werden sollte. Doch unser Arbeitstag ist dadurch nicht kürzer geworden, es wird sogar über den 12-Stunden-Arbeitstag diskutiert. Warum aber müssen immer noch so viele Menschen ihren Arbeitstag mit dem Verrichten von Tätigkeiten verbringen, die sie insgeheim als sinnlos empfinden? Und welche Antwort kann uns Karl Marx auf diese Frage geben?
Der Zweck kapitalistischer Produktion ist nicht die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, sondern die Erzeugung von Mehrwert. Dieser kann laut Marx nur durch lebendige Arbeit geschaffen werden. Um sich im Konkurrenzkampf zu behaupten, muss der Kapitalist danach trachten, die Produktionskosten möglichst niedrig zu halten. Da aber die Produktionsmittel für alle Unternehmer gleich viel kosten, kann er nur bei der Arbeit sparen. Das heißt, entweder müssen die Arbeiter*innen schneller oder länger arbeiten, oder er investiert in Maschinen, um die Arbeitsproduktivität zu steigern. Während sich der Arbeitsdruck für die einen erhöht, werden andere arbeitslos, der Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen verschärft sich. Rassismus und die Hetze gegen Schwächere dienen dabei Mittel, um von der Grundproblematik abzulenken. Aber weder die Digitalisierung noch der arme Schlucker, der mit uns um Arbeitsplätze und Sozialleistungen konkurriert, sind daran schuld, möchte uns das Stück erinnern, sondern es ist nach wie vor der Kapitalist, der den produzierten Mehrwert einstreift.
Schließlich beschäftigt sich das Stück auch mit der Situation der Kulturschaffenden selbst, die ja – sofern sie keine international gefeierten Stars sind – häufig unter prekären Verhältnissen arbeiten. Diese werden oft als Selbstausbeutung bezeichnet. Eine Bezeichnung, die Heide Hammer für irreführend hält. „In einer marxistischen Analyse ergibt dieser Begriff keinen Sinn“, meint sie im Mosaik-Interview. Nur weil wir in der Anrufung neoliberaler Verwertung als Unternehmer*in des jeweiligen Ich-Labels auftreten sollen und der Aufforderung zur permanenten Selbstoptimierung dabei nie gerecht werden können, gibt es dennoch keine Möglichkeit zur Abschöpfung des eigenen Mehrwerts.“ Wenn der Lohn oder die Bezahlung des Arbeitsprodukts nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht, hilft nur der Kampf gegen die Verhältnisse, ist sie überzeugt. Dieser kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn die Werktätigen nicht als Konkurrent*innen sondern gemeinsam als Genoss*innen auftreten.
150 Jahre später ...
Das Ensemble 150 years after – eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Künstler_innen und Autor_innen rund um den Autor und Aktivisten Kurto Wendt und die Regisseurin Sheri Avraham – hat sich zum Ziel gesetzt, Aufklärung und gutes Theater gleichzeitig zu machen. Dazu wurden zentrale Stellen aus dem Werk von Karl Marx für das Theater aufbereitet, an die heutigen Verhältnisse angepasst und mit einer gehörigen Dosis Humor gewürzt. Alle Mitwirkenden beeindrucken durch ihre schauspielerischen und musikalischen Leistungen. Auch wenn die hochtheoretischen Passagen aus dem Werk von Marx für das Publikum keine leicht verdauliche Kost sind, hat das Stück sein Ziel erreicht, nämlich Fragen aufzuwerfen und dazu anzuregen, sich ein Leben ohne Lohnarbeit vorzustellen. Dazu Kurto Wendt: „Menschen zum Lachen zu bringen und sie im Idealfall am nächsten Tag zum Buch greifen zu lassen, das wollen wir. Und wenn sie übermorgen die Arbeit Arbeit sein lassen, haben wir schon fast gewonnen.“
Angesichts von Klimawandel, Rechtsruck und drohender Kriegsgefahr stellt sich die Frage immer dringlicher, wie wir die ausbeuterische und destruktive Wirtschaftweise überwinden können, die uns immer wieder in Krisen bringt. Die Schauspieler*innen im Stück fragen: „Müssen wir denn immer so weiter machen, wie wir es kennen, nur weil wir es kennen?“ Wollen wir jedoch eines Tages dem von Marx formulierten Gesellschaftsideal „jeder nach seinen Fähigkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen“ näher zu kommen, wird es notwendig sein, die herrschenden Lohnarbeits- und Besitzverhältnisse in Frage zu stellen.
erschienen in Talktogether Nr. 64/2018
Â
Â
|