Ghana: Reiseeindrücke PDF Drucken E-Mail

 

Reiseeindrücke in Ghana

von Beate Wernegger

Es ist schon dunkel, als wir den Flughafen von Accra, der eher einem Provinzflughafen gleicht als dem einer Weltstadt, verlassen. Mit einem Taxi fahren wir in einen Außenbezirk der Stadt, wo wir übernachten. Die Straße ist voller Schlaglöcher, je näher wir dem Stadtrand kommen, desto schlechter wird ihr Zustand. Sie ist nicht asphaltiert und vom Regen derart ausgewaschen, sodass es nur der Geschicklichkeit des Fahrers zu verdanken ist, dass wir unser Ziel erreichen. Die Vororte Accras gleichen einem Meer von Baustellen, die Stadt dehnt sich unaufhörlich aus. Die meisten der Rohbauten sind bereits bewohnt, auch wenn das Dach oder ein geplantes weiteres Stockwerk noch fehlen. Vielleicht werden sie in diesem Zustand bleiben.

Die Fahrt von hier ins Stadtzentrum gleicht einer endlosen Odyssee. Die Herkunft vieler Fahrzeuge ist an den Firmeninschriften der Vorbesitzer in Deutschland, Niederlande oder Österreich zu erkennen. Wenn man in einem Verkehrsstau steckt oder vor einer roten Ampel wartet, dauert es nicht lange, bis man von einem Heer von ambulanten Verkäufern und Verkäuferinnen, vor allem aber Kindern und Jugendlichen, umringt ist. Saliah, unser Gastgeber, der vor fünf Jahren das letzte Mal in seiner Heimat war, meint, dass ihre Zahl seither stark angestiegen sei. Ob es sich um Trinkwasser in Plastiktüten, Socken oder Wertkarten für Mobiltelefone handelt, fast alles ist durch das Autofenster zu erstehen. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass jeder, der sich bewegen kann, etwas auf der Straße zu verkaufen versucht. Sind das die Unternehmer, die dem Land zum prognostizierten Aufschwung verhelfen sollen?

Begegnungen

Nach einem nur kurzen Aufenthalt reisen wir ins Landesinnere weiter. Auf dem Busbahnhof versorgt uns eine Frau, die in einem Korb auf ihrem Kopf selbstgekochte Menüs anbietet, mit einem köstlichen Mittagessen. Die Fahrt dauert jedoch nicht lange und eine Panne auf der Strecke nach Kumasi führt zu einer unverhofften Begegnung. Die Fahrgäste warten geduldig auf dem Straßenrand, der Busfahrer fährt zurück nach Accra. Niemand weiß, wie lange die Unterbrechung dauern wird, ob ein Ersatzbus organisiert oder nur Werkzeug geholt wird. Gleich neben dem Straßenrand beginnt dichter Pflanzenbewuchs. Wir bewundern eine Pflanze, die sich einrollt, sobald man sie berührt.

„Das ist die richtige Umgebung für Kakao“, erkennt Saliah und wir folgen ihm auf einem kleinen Weg durch das üppige grüne Dickicht. Schon sehen wir die ersten Kakaobäume, schließlich erreichen wir eine kleine ärmliche Hütte. Eine Familie lebt hier zwischen Bananen-, Papaya- und Orangenbäumen. Eltern und Kinder leben von den Früchten und Feldpflanzen, die rund um ihr Haus wachsen. Das wenige Geld, das sie für die Dinge benötigen, die sie nicht selbst herstellen, verdienen sie durch den Verkauf der getrockneten Kakaobohnen, die sie gemeinsam mit der Hand ernten, auslösen und trocknen. Für einen Stromanschluss reichen diese Einkünfte nicht.

Als wir in Nsoatre, dem Heimatort Saliahs angekommen sind, erweisen wir wie es die Höflichkeit verlangt, dem König, Saliahs Vater, einen Besuch. Obwohl sich das Haus nicht von den anderen Häusern des Orts unterscheidet, lassen das Auftreten des Mannes, der uns empfängt, sein Goldring und die goldverzierten Pantoffeln keinen Zweifel, dass es sich hier um einen Würdenträger handelt. Saliah hat uns erklärt, dass er als sein Sohn seine Nachfolge nie antreten könnte, weil nach traditionellem Recht ein Mann weder Besitz noch Ämter an seine leiblichen Kinder weitergeben darf. In der Tradition der Akan zählt nur die Blutsverwandtschaft in der mütterlichen Linie: Nur der Sohn einer Schwester, des Königs, also einer von Saliahs Cousins, könnte der nächste König werden.

Anders als die Begegnung mit dem Vater, die eher förmlich verlaufen ist, ist das Wiedersehen mit der Mutter voller Herzlichkeit. Das erste Mal begegnen wir ihr auf der Straße. Die ist außer sich vor Freude, ihren Sohn nach so langer Zeit wieder umarmen können. Überwältigt von den Gefühlen hebt Saliah die kleine Frau in seine Arme wie ein Kind. Am nächsten Tag besuchen wir sie in ihrem Haus. Auf dem Weg passieren wir die Überreste der ehemaligen Schule Saliahs. Während öffentliche Schulen verfallen, boomen Privatschulen, vor allem konfessionelle, die von einer Vielzahl evangelikaler Kirchen betrieben werden. Saliahs Mutter ist schon lange von seinem Vater getrennt und lebt zusammen mit Saliahs Schwester und deren Sohn, der Saliah mit Vater anredet und von ihm wie ein eigener Sohn angesehen wird. Hinter dem Haus befindet sich, wie bei fast allen Häusern im Ort, ein kleiner Garten, in dem fast alles wächst, was eine Familie braucht, um sich zu ernähren.

Saliah möchte in Nsoatre ein Grundstück erwerben. Sein Ziel ist, eine Schule im Ort für benachteiligte Kinder gründen. Durch die Privatisierungsmaßnahmen und die Einführung von Schulgeld ist es für arme Menschen schwieriger geworden, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Privatbesitz an Grund und Boden gibt es nach dem traditionellen Recht nicht. Der Grund ist großteils noch Gemeinschaftseigentum und wird den Familien zur landwirtschaftlichen Nutzung zugesprochen. Deshalb muss Saliah sein Anliegen vor dem Gemeinderat vorbringen, einer Art Ältestenrat, bestehend aus einflussreichen Männern und einer Frau, die jeden Freitag zusammentreffen.

Nach der Überreichung des traditionellen Gastgeschenkes, ein paar Flaschen Schnaps, schildert der Antragsteller sein Projekt. Das Vorhaben Saliahs wird prinzipiell gutgeheißen und ihm ein Grundstück versprochen. Danach folgen allerdings noch wochenlange Verhandlungen mit dem Vorsitzenden des Gemeinderats, einem ehemaligen Schuldirektor. Es geht um Kompensationszahlungen für Familien, die den Grund bisher benützt haben und nun ausweichen müssen, und andere Zuwendungen. Diese Verhandlungen gestalten sich nicht einfach, weil nie klare Bedingungen formuliert werden, und stellen die Geduld Saliahs, der seit vielen Jahren in Europa lebt und sich zwangsläufig eine andere Denk- und Lebensweise angeeignet hat, auf die Probe.

Bald wird klar, dass heute in Ghana zwei Systeme parallel existieren, die zueinander im Widerspruch stehen. Das Haus, in dem uns der Schuldirektor empfängt, ist nur mehr teilweise bewohnbar, das Dach des anderen Teiles ist eingestürzt. Das Geld für die Reparatur fehlt, lautet die Entschuldigung von Nana, wie einflussreiche Personen respektvoll angesprochen werden. Später erklärt uns Saliah den Hintergrund. Es ist Nanas Familienhaus, das Haus seines Clans. Er habe kein Recht darüber zu verfügen oder das Haus an seine Kinder weiterzuvererben, deshalb sei sein Interesse begrenzt, dafür Geld zu investieren. In diesem Haus übt Nana seine Amtsgeschäfte aus, mit seiner Familie wohnt er in seinem Privathaus in der naheliegenden Stadt Berekum.

Friedrich Engels, das Patriarchat und der IWF

Vor vielen Jahren hatte ich „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ von Friedrich Engels gelesen[1]. Dieses Werk mit seiner beeindruckenden Klarheit hat meine Wahrnehmung der Welt beeinflusst wie kein anderes. Obwohl ich im Reiseführer von matrilinearen Gesellschaftsstrukturen in Ghana gelesen hatte, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mein dreiwöchiger Urlaub mir Einblicke gewähren würde, die als Beweis für Engels Theorien dienen könnten. Nicht dass in Ghana die Frauen die Macht hätten. Auch hier spielen Männer ökonomisch und politisch eine dominierende Rolle, was durch den zunehmenden Einfluss der Geldökonomie verstärkt wird. Zweifellos einen entscheidenden Zusammenhang haben dagegen Patriarchat und Privateigentum.

Erst im Jahr 1985 wurden auf Druck des Internationalen Währungsfonds Besitzverhältnisse nach europäischem Vorbild eingeführt (PNDC[2]-Law 111), ein Schritt, zu den sich der damalige Präsident Jerry Rawlings – entgegen seiner panafrikanistischen Rhetorik – aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Situation gezwungen sah. Nach diesem Gesetz sind nicht mehr die Geschwister und deren Kinder erbberechtigt, sondern nunmehr die Ehefrau und ihre Kinder. Während Ehefrauen und Kinder eines wohlhabenden Mannes davon profitieren, wurde mit diesem Schritt ein Jahrhunderte lang bewährtes, auch von den Kolonialherren unangetastetes Sozialsystem aufgebrochen – ein auf Blutverwandtschaft beruhender Gesellschaftsvertrag, der sich in Erbschaftsregeln ausdrückte, nach denen die Wohlhabenderen den weniger Wohlhabenden von ihrem Reichtum abgeben mussten. Die Umstellung hatte einschneidende Auswirkungen: Die Umverteilungsbasis veränderte sich von einem durchschnittlichen Verhältnis von 1:64 auf 1:9. Die dadurch entstandene Vergrößerung des sozialen Ungleichheitgewichts lässt sich am GINI-Koeffizienten für Einkommensverteilungen deutlich abmessen. (vgl. Hennings[3])

Es ist kein Zufall, dass hier der IWF als Verfechter patriarchalischer Verhältnisse in Erscheinung tritt. Für ein System, dessen Motor individuelles Gewinnstreben und Konkurrenz sind, stellen gemeinschaftliche Besitzverhältnisse ein Hindernis dar, umso mehr noch für die ursprüngliche Akkumulation, also die private Aneignung von Ressourcen wie Grund und Boden.

Die mühsame Jagd nach den Cedis[4]

Die ökonomischen Transformationen, vor allem die Gebühren für Gesundheitsvorsorge und Bildung, zwingen die Menschen, immer mehr Geld zu erwirtschaften. Während die Jagd nach den Cedis mühsam ist, protzt die Natur mit Überfluss. Das feucht-warme Tropenklima sorgt für üppige Vegetation und fast jede Familie hat einen Garten oder ein Grundstück, wo sie Yam, Cocoyam, Kochbanen, Mais, Maniok und Gemüse hauptsächlich zur Eigenversorgung anbaut. Überschüsse werden in lokalen Märkten verkauft. Jede Änderung der bestehenden Landnutzungsrechte kann somit fatale Folgen für die soziale und ökonomische Entwicklung einer Landgemeinde mit sich ziehen.

Viele Haushalte besitzen außerdem Ziegen und Hühner, allerdings nur in sehr kleinen Beständen. Es gibt aber auch kommerzielle Farmen in Nsoatre. Wir besuchen eine Hühnerfarm, die der Betreiber mit dem Geld aufgebaut hat, das sein Bruder in den USA erarbeitet hat. Nur 20 Cedis erhalten die Farmarbeiter neben Essen und Unterkunft im Monat. Trotz der niedrigen Löhne sind ihre Jobs unsicher. Billige gefrorene Hühnerteile, wegen mangelnder Kühlung meist bereits verdorbene Überschüsse aus den Schlachthäusern Europas, überschwemmen afrikanische Märkte und wurden von uns auch auf dem Markt in Nsoatre entdeckt.

Saliahs Freund Seidu steht uns während unseres Aufenthaltes in Nsoatre als Fahrer und Führer zur Seite. Seine Verlässlichkeit und die Fahrkünste, mit denen er sicher und unbeeindruckt alle Hindernisse überwindet, haben wir bald sehr zu schätzen gelernt. Er führt uns auf die Kakao-Pflanzung seines Vaters etwas außerhalb von Nsoatre. Den letzten Teil des Weges legen wir zu Fuß zurück. Die Luft ist feucht und wie fast jeden Tag beginnt es zu regnen. Schließlich erreichen wir einen kleinen Wald aus Kakaobäumen. Daneben und dazwischen wachsen Kokospalmen, Orangen- und Bananenbäume. Inmitten dieser paradiesisch anmutenden Umgebung lebt eine Familie von WanderarbeiterInnen aus dem wirtschaftlich vernachlässigten Norden des Landes, die hier für ein paar Cedis die Kakaoplantage pflegt. Während wir damit beschäftigt sind, die Kakaobäume zu bewundern, bereitet sie für uns ein Mittagessen zu: Gekochte Yamswurzeln und ein mit rotem Palmöl zubereiteter Spinat aus Cocoyam-Blättern, alle Zutaten sind frisch geerntet. Nach dieser köstlichen Mahlzeit wird uns ein Korb mit Yam, Ananas und Orangen auf den Heimweg mitgegeben.

Während die Subsistenzwirtschaft meist von Frauen betrieben wird, ist der Anbau von Cash Crops Männersache. Kakao, das Hauptexportprodukt Ghanas, wird hauptsächlich von Kleinbauern produziert, aber im Land kaum konsumiert. In den Läden ist er nur in Form des für viele unerschwinglichen Nestlé-Produkts „Milo“ erhältlich. Nicht alle Kakaobauern haben so viel Grund zum Stolz wie Seidus Vater. Alte Baumbestände liefern immer weniger Erträge und sind anfällig für Schädlingsbefall. Auch die Abholzung des Regenwaldes zeigt seine Wirkung, denn Kakao braucht viel Feuchtigkeit und Schatten. Zudem verschafften sich südostasiatische Länder durch Senkung der Produktionskosten Zutritt auf den Kakaomarkt und drückten die Preise. Die niedrigen Preise, die staatliche Zwischenhändler dafür bezahlen, haben zur Folge, dass ein großer Teil der Ernte – obwohl das streng bestraft wird – über die Grenze nach Côte d’Ivoire geschmuggelt wird.

Emmanuel, ein weniger erfolgreicher Kakaobauer, erzählt: „Um zu meiner Kakaoplantage zu kommen, muss ich eine Stunde mit dem Fahrrad fahren. Dort arbeite ich dann den ganzen Tag und muss am Abend wieder mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Was ich für die Ernte eines Jahres bekomme, reicht nicht aus, um Schädlingsbekämpfungsmittel zu kaufen, die ich dringend brauche.“ Da es jedoch weit und breit keine Arbeitsmöglichkeiten gibt, ist der Kakao für ihn die einzige Möglichkeit, überhaupt an der Geldwirtschaft teilzuhaben. Wen wundert es da, dass so viele junge vor Kraft und Tatendrang strotzende Männer davon träumen, nach Europa auszuwandern?

Investor’s Paradise

Neben dem Kakao ist Gold ein Hauptexportprodukt Ghanas. Wir haben einen Besuchstermin in der Afaho Goldmine der Newmont Mining Corporation bei Kenyasi vereinbart. Vor dem Eingangstor der Goldmine warten wir auf unseren Führer Victor. Der US-amerikanische Konzern ist der zweitgrößte Goldproduzent weltweit und baut erst seit einigen Jahren in Kenyasi Gold im Tagebau ab. Bevor wir die Mine besichtigen dürfen, werden wir zusammen mit einer Gruppe von SchülerInnen und StudentInnen in einen Vorführraum gelotst, wo wir einen Vortrag über das Unternehmen, und was es für die Umwelt und die lokale Bevölkerung tut, über uns ergehen lassen müssen. Eine Resettlementsiedlung für von ihrem Land Vertriebene, die im Vergleich zur Ausdehnung der Mine ziemlich klein erscheint, dient als Vorzeigeprojekt. Bald beginnen die BesucherInnen, kritische Fragen zu stellen. Während Guide Victor offensichtlich bemüht ist, seinem Auftrag gemäß Imagepflege für das wegen geplanter Waldrodungen ins Visier von Umweltschützern gekommene Unternehmen zu betreiben, hat ein arrogant dreinblickender Mitarbeiter, vermutlich aus dem Management, weniger Geduld. Seine Worte sind klar: „Wir sind keine Entwicklungsorganisation, wir sind hier, um Profit zu machen. Und dass die ghanaische Regierung nicht mehr Steuern verlangt, dafür sind nicht wir verantwortlich!“

Neben den Umweltschützern sind lokale einheimische Goldminen die größten Störenfriede in den Augen der Goldkonzerne. Der kleinflächige Bergbau spielte seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle in der ghanaischen Wirtschaft, ehe er von den britischen Kolonialherren verboten und erst im Jahr 1989 wieder legalisiert wurde. Neben den registrierten Kleinminen gibt es in Ghana eine der größten illegalen Minenindustrien der Welt, das Galamsey („gather and sell“) Mining. Hier schürfen Goldsucher, darunter auch Frauen und Kinder, verfolgt von Minenwachpersonal und Polizei, auf eigene Faust nach Gold und hantieren ungeschützt mit hochgiftigen Chemikalien wie Quecksilber und Zyanid, die nicht nur für ihre Gesundheit sondern auch für die Umwelt eine Gefahr darstellen.

Ghana kann auf eine über tausendjährige Geschichte des Bergbaus und Goldhandels zurückblicken, wodurch sich in Westafrika hochentwickelte und wohlhabende Gesellschaften etabliert haben. 1895 wurde durch die Eröffnung einer Reihe von Goldminen in Obuasi eine gewaltige Steigerung der Goldproduktion erreicht. Zu Beginn der 1950er Jahre ist jedoch der Wert des Goldertrags beträchtlich gesunken. Nach der Unabhängigkeit wurden die Minen, die teilweise schon in desolatem Zustand waren, verstaatlicht. Aufgrund fehlender Investitionen wurde der ghanaische Goldbergbau zusehends unrentabler. Politische Umstürze, fallende Weltmarktpreise von Ghanas Hauptexportgütern, eine Dürre, die nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auch auf die Stromerzeugung am Volta-Stausee katastrophale Auswirkungen hatte, der Anstieg des Ölpreises und die Ausweisung von einer Million ghanaischer Gastarbeiter aus Nigeria führten das Land Anfang der 1980er Jahre in eine schwere wirtschaftliche Krise.

Jerry Rawlings wandte sich, nachdem er 1981 durch einen Putsch an die Macht gekommen war, an den Internationalen Währungsfonds mit der Bitte um Unterstützung bei der Konjunkturbelebung. Bedingung dafür war jedoch die Umsetzung umfassender Liberalisierungsmaßnahmen. Um ein attraktiveres Investitionsklima zu schaffen und Direktinvestitionen anzuziehen, wurden die Steuern massiv gesenkt. Von dieser Politik hatte uns die Webseite der Ghana Embassy, die das Land als „Investor’s Paradise“ anpreist, bereits vor unserer Abreise einen Eindruck vermittelt. Ghana sei eine stabile Demokratie mit freundlichen Menschen und einem hohen Grad an Sicherheit, heißt es hier, die Verfassung garantiere die Sicherheit der Investitionen und den ungeteilten Transfer von Gewinnen und Dividenden ins Ausland, großzügige Steuerermäßigungen werden in Aussicht gestellt. Bietet sich das Land, einst Vorreiter der Unabhängigkeit Afrikas, heute selbst zum Ausverkauf an?

Heute sind mehr als 200 Bergbaufirmen in die Suche und in den Abbau von Gold involviert. Untersuchungen zeigen aber, dass ihre Steuerleistungen sehr gering sind, sie kaum Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung bieten und wenig zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Durch den Tagebau werden jedoch immer mehr Landflächen zerstört, die den Dorfgemeinden für die landwirtschaftliche Versorgung abgehen. Entschädigungen für brach liegendes Land, das traditionellerweise für zukünftige Generationen reserviert ist, gibt es keine. Werden sie den Preis bezahlen?

Ist Ghana ein Wirtschaftsmodell für Afrika?

Nach dem Besuch der geschäftigen Ashanti-Hauptstadt Kumasi und der Sklavenforts an der Küste – mit einem unauslöschlichen Geruch von Blut und Tränen durchtränkte Zeugnisse einer 400-jährigen unvorstellbaren Grausamkeit – kehren wir an den Ausgangspunkt unserer Reise zurück. In Accra besuchen wir die Gedenkstätten der Panafrikanisten Du Bois und Nkrumah. Der Blick in die Vergangenheit zeugt von großen Hoffnungen, während der Blick auf die Gegenwart in schmerzlicher Weise offenbart, dass sie sich nicht erfüllt haben. Ghana ist bis heute vom Rohstoffexport und schwankenden Weltmarktpreisen abhängig geblieben. Ölbohrungen im Atlantik vor Takoradi geben gleichzeitig Anlass zu Hoffnungen und Befürchtungen, und die Forderungen von Ghanas Bevölkerung nach einer Teilhabe am Reichtum werden immer lauter.

In den Statistiken der Wachstumsraten liegt Ghana heute ganz vorne. Doch sind hohe Wachstumsraten ein Indikator für eine positive Entwicklung? Die Straßen der Städte gleichen einem einzigen Bazar, doch viele Menschen können sich die Waren nicht leisten. Gebrauchtwaren aus Europa – Mobiltelefone, Kleider aber auch Kühlschränke – dominieren den Markt. Die Straßen sind in schlechtem Zustand und Straßenarbeiter warten oft über ein Jahr auf ihren Lohn. Oft sind wir Jugendlichen begegnet, die Straßenlöcher aus eigener Initiative auffüllen und vor Freude zu tanzen beginnen, wenn ihnen ein Autofahrer als Dank dafür einen Cedi gibt. Man muss die Frage stellen, wer von diesem Wachstum profitiert und ob er bei der Bevölkerung ankommt.



[1] Ursache für den Übergang zum Patriarchat war nach Engels das aufkommende Privateigentum, wodurch die Männer ein Interesse daran hatten, ihr Eigentum an ihre biologischen Nachkommen zu vererben. Bereits in der vorkolonialen Ashanti-Gesellschaft, in der durch Goldreichtum und Sklavenhandel einiges an Vermögen angehäuft wurde, dürften Besitz und Gesellschaftsstruktur in Widerspruch gekommen sein. Damals bevorzugte ein reicher und mächtiger Mann oft eine Sklavin einer freien Frau, weil diese Art von Heirat ihnen ermöglichte, seinen Besitz und seinen Status an seine Kinder zu vererben. Der Status einer Frau, die von ihrer eigenen Familie isoliert war und keinen Bruder oder Onkel hatte, der intervenieren konnte, erlaubte ihm zweifellos auch, seine Kinder zu kontrollieren.

[2] PNDC: Provisional National Defence Council

[3] Werner Hennings (2001): Global Players – Local Actors. http://www.globales-lernen.de

[4] Cedi: Währung in Ghana, 1 Euro ist ca. 1,9 Cedis

erschienen in Talktogether Nr. 35/2011

Â