Der blutige Februar 1934 PDF Drucken E-Mail

Der blutige Februar 1934

Am Montag den 12. Februar morgens, brach der Sturm los. In Linz und anderen oberösterreichischen Städten waren die faschistischen Heimwehren einmarschiert und verlangten die Absetzung der Landesregierung und die Auflösung der sozialde­mokratischen Gemeindeverwaltungen in Linz und Steyr. Währenddessen waren bei den Schutzbündlern Waffensuchen und Hausdurchsuchungen durchgeführt worden. Doch die Linzer Schutzbündler wollten sich in solcher Stunde nicht entwaffnen lassen. Als am 12. Februar die Polizei zur Waffensuche im Parteiheim "Hotel Schiff" in Linz erschien, waren die anwesenden Schutzbündler zum Widerstand entschlossen. Mit Windeseile verbreitete sich die Nachricht vom Zusammenstoß im Hotel „Schiff“ und die Schutzbündler holten ihre Waffen. Auch in anderen Teilen der Stadt begann der Kampf.

Der Kampf in Wien

Am Morgen waren die Arbeiter des Elektrizitäts- und Gaswerks in Wien-Simmering in den Streik getreten, gegen Mittag kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Am Vormittag beschloss der Exekutivausschuss der sozialdemokratischen Arbeiterpartei den Generalstreik. Als die Arbeiter des Elektrizitätswerks um 11 Uhr 45 die Stromversorgung für Wien unterbrachen - das vereinbarte Zeichen für den Generalstreik - und sich die Nachricht von den Kämpfen in Linz verbreitete, sammelten sich die Schutzbündler in den einzelnen Bezirken. Die Wiener Arbeiter waren schon seit einigen Tagen in Erregung. Führende Vertrauensmänner waren verhaftet worden. Das alles in einem Augenblick, in dem die Heimwehrfaschisten, die Besetzung des Wiener Rathauses und die Absetzung von zwei Drittel der vom Volk gewählten Gemeindeverwaltungen ankündigten. Gegen fünf Uhr fielen die ersten Schüsse.Die Kämpfe begannen. Auf der einen Seite die Proletarier, zumeist Arbeitslose mit einem alten Gewehr aus der Kriegszeit in der Hand und wenigen Patronen in der Tasche. Auf der anderen Seite Militär und Polizei, mit modernem Kriegsgerät ausgerüstet: Panzerwagen, Kanonen, Haubitzen, Minenwerfer. In den Abendstunden donnerten die Geschütze. Die Truppen Dollfuß’ schossen auf die Gemeindehäuser, wo sich die Schutzbündler verbarrikadiert hatten. Sie hatten weder Skrupel, Frauen und Kinder zu ermorden - für sie nur die Kinder und Frauen rebellischer Proleten - noch Tausende durch die Zerstörung der Gemeindehäuser obdachlos zu machen. Nachdem die Geschütze ihr Werk getan hatten, wurden die Gemeindehäuser gestürmt. Auf den Höfen und in den Stiegenhäusern entbrannten Kämpfe. Die Arbeiter schleuderten primitive Handgranaten, die sie selbst hergestellt hatten, die Frauen gingen mit Küchenmessern und Bügeleisen gegen die Eindringlinge vor. Immer wieder tauchten auf den Dächern und an den Fenstern Schützen auf, die den Kampf wieder aufnahmen. Trotz der Ungleichheit der Bewaffnung dauerte der Kampf um Wien viermal 24 Stunden.

Leider hatten nicht einmal in Wien alle Betriebe rechtzeitig vom Streik erfahren bzw. warteten die Betriebsräte vergeblich auf Weisungen der Gewerkschaft. Am schlimmsten war, dass die Eisenbahnen weiter verkehrten, und die Regierung ihre Truppen verschieben konnte. Nur einem kleinen Teil der Schutzbündler war es gelungen, sich zu bewaffnen. Auch waren einige der Leute, die von den Waffenverstecken wussten, verhaftet worden. Eine Kampfleitung hätte im Wiener Rathaus zusammentreten sollen - ausgestattet mit einer Funkzentrale. Doch der 1. Bezirk war bereits in der Nacht abgeriegelt worden. So blieben die kämpfenden Arbeiter ohne Verbindung, vor allem in den Bundesländern waren sie isoliert. Trotzdem kam es in verschie­denen Städten und Orten zu spontanen Aufständen. Neben den Kämpfen in den meisten Wiener Arbeiterbezirken, fanden schwere Auseinandersetzungen in Graz, Bruck an der Mur, Steyr und Linz statt, ebenso in oberösterreichischen und steirischen Industriegebieten.

Bruck an der Mur

 Um 11.30 mittags versammelten sich die Schutzbündler in Bruck an der Mur am Sägewerksgelände der Städtischen Betriebe. Kurz darauf eilten die ersten bewaffneten Schutzbündler in zwei Gruppen zur Gendarmeriekaserne und zur Höheren Forstlehr­anstalt. Die erste Gruppe, angeführt von Sepp Linhart, versuchte die Gendarmeriekaserne zu stürmen. Doch der Angriff konnte abgewehrt werden und Sepp Linhart fiel. Doch alle anderen wichtigen Stellen in der Stadt, wie Schlossberg, Wiener- und Grazertor, Bahnhof und Leobner Brücke waren in den Händen des republikanischen Schutzbundes, ebenso die Gendarmerieposten in Kapfenberg und der Mariazeller Straße. Die Heimwehren, die schon einige Wochen in der Höheren Forstlehranstalt kaserniert waren, konnten sich nicht befreien. Der Schutzbund beherrschte ganz Bruck und Kapfenberg. Weitere Schutzbündler aus der Umgebung trafen in Lastwagen ein. Die Straßen waren leer, die Geschäfte geschlossen und Gitter und Rollos vorgezogen. Nur die Rettungsmänner der Freiwilligen Feuerwehr waren unermüdlich mit den Rettungsautos unterwegs. In den städtischen Betrieben wurden die kämpfenden Schutzbündler von den Frauen mit Essen versorgt. Der Strom war schon seit 13 Uhr abgeschaltet. Doch die Eisenbahn verkehrte, der Generalstreik war unvollständig geblieben. Aus Graz rückte währenddessen das Bundesheer an. Zwei mutige Funktionärinnen, Lintschi Haubenwallner und Luise Gabler, wurden in den Abendstunden zu Erkundigungen  ausgeschickt und konnten in Erfahrung bringen, dass bereits eine Kompanie Alpenjäger und ein Zug Gebirgsschützen das Landeskrankenhaus besetzt hatten. Aus allen Teilen des Landes wurden Bundesheer und Heimweh­ren nach Bruck an der Mur eingezogen. Nach einer Beratung beschloss Koloman Wallisch, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, Bruck an der Mur zu räumen und sich zurückzuziehen. Das war der Anfang vom Ende des heldenmütigen Kampfes. Am 18. Februar wurde Koloman Wallisch verhaftet und von einem Standgericht zum Tod verurteilt.

Hintergründe:

Der Erste Weltkrieg wurde zum verzweifelten Endkampf der Donaumonarchie. Die hohen Menschenverluste und die zuneh­mende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage bewirkten eine wachsende Unzufriedenheit bei der Bevölkerung. Der Jännerstreik 1918, der Matrosenaufstand von Cattaro und die Soldatenmeuterei in Judenburg, gefolgt von der militärischen Niederlage, führten zur Auflösung des Habsburgerreichs. In der Zeit nach dem Krieg erlebte die Sozialdemokratische Arbeiter-Partei ihren Aufschwung. Praktischer Ausdruck des "Austromarxismus" wurde die Wiener Kommunalpolitik der 1920er Jahre. Das "Rote Wien" wurde zum Symbol eines bis dahin nirgends verwirklichten Systems der sozialen und kulturellen Emanzipation der Arbeiterschaft. Trotz der wirtschaftlichen Not gelang es der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung 60.000 Wohnungen, zahlreiche Kindergärten, Bäder und Sportanlagen zu errichten, Wohlfahrtspflege und Schulreform durchzuführen, was durch eine Sonderbesteuerung der Reichen finanziert werden konnte.  Selbstvertrauen und Aufbruchstimmung herrschten in der Arbeiterbewegung. Zahlreiche sozialdemokratische Organi­sationen wurden gegründet, die große Teile der Arbeiterschaft erfasste: Freie Gewerkschaften, Mietervereinigung, Konsumgenossenschaften, Kinderfreunde, usw. wurden zu Massenorganisationen. Und schließlich verfügte die Arbeiterbewegung seit 1918 über eigene bewaffnete Verbände, den „Republikanischen Schutzbund“.

Nach 1918 befand sich Österreich aber in einer permanenten Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit hatte Massen- und Dauercharakter. Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte zu einem weiteren Rückgang der Produktion, zu Betriebsstillegungen und die Arbeitslosenzahl stieg auf 600.000. Unvorstellbares Elend herrschte unter den Arbeitslosen, von denen immer mehr „ausgesteuert“ wurden, d.h. keine Unterstützung mehr erhielten. Die Massenverelendung trug nicht nur zu einer Verschärfung politischer Konflikte bei, sondern bildete auch in zunehmenden Maß den Nährboden für den Faschismus und Nationalsozialismus. Unter dem Eindruck von Hitlers Machtergreifung in Deutschland und des national­sozialistischen Terrors in Österreich schaltete die mit dem Heimwehrfaschismus und dem faschistischen Italien kooperie­rende Regierung des christlich-sozialen Bundeskanzlers Dollfuß im März 1933 den Nationalrat aus und regierte autoritär. Obwohl die Arbeitermassen auf das Signal zum Kampf warteten, verfolgte die sozialdemokratische Partei eine Politik des Abwartens und glaubte, durch Verhandlungen zu einer fried­lichen Lösung zu kommen. Diese passive Haltung führte zu einem innerparteilichen Zersetzungsprozess und zu wachsender Unzufriedenheit an der Basis.

Am 4. März 1933 wurde auch das Parlament aufgelöst. Dies ermöglichte der Regierung u.a. folgende Verordnungen zu beschließen: Die Presse- und Versammlungsfreiheit wurde einge­schränkt, der republikanische Schutzbund, der 1. Mai Aufmarsch, die Kommunistische Partei verboten, Streikverbote eingeführt, der Verfassungsgerichthof lahmgelegt, der 8-Stunden Arbeitstag durchlöchert, die Todesstrafe wieder eingeführt und Anhaltelager errichtet. Anfang Februar 1934 war Dollfuß entschlossen, die endgültige Zerschlagung der sozialdemokratischen Partei in Angriff zu nehmen. Rückendeckung bekam Dollfuß von Mussolini, aber auch internationale Geldgeber hatten starkes Interesse an einer reibungslosen Budgetsanierung unter politischen Bedingungen, die eine Ausweitung der Belastungspolitik ermöglichten. Die kampfbereite Arbeiterschaft wurde nicht nur durch Entlassungs­drohungen, Betriebsaussperrungen und Polizeischikanen, sondern auch durch die passive Haltung der Partei- und Gewerkschafts­führung zermürbt. Deren Versuche, über Verhandlungen eine Änderung der Politik zu erreichen, scheiterten. Gewarnt durch die Ereignisse in Deutschland, begann sich eine linke Opposition in der Partei zu organisieren.

Der Faschismus triumphiert

In den Tagen zwischen dem 12. und 15. Februar standen 10.000-20.000 Arbeiter der staatlichen Macht aus Polizei, Gendarmerie, Militär, den Heimwehren sowie den Ostmärkischen Sturmscharen - insgesamt an die 60.000 Mann - gegenüber. Trotzdem waren einige strategische Punkte wie Bahnlinien, Brücken und Polizeistationen besetzt worden und der Widerstand konnte nur durch äußerste Übermacht gebrochen werden. Von der Seiten der Regierung, der Heimwehrführer und dem Sicherheitsminister Fey wurden gnadenlos Artillerie und Granatwerfer gegen Wohnanlagen eingesetzt. Die Standgerichte verurteilten insgesamt 21 Menschen zum Tode, neun Todesurteile wurden trotz internationaler Proteste vollstreckt. Alle die sich nicht kampflos dem Faschismus ergeben hatten, mussten flüchten, 10.000 Männer und Frauen wurden verhaftet.

Noch am Nachmittag des 12. Februars wurden alle sozialdemokratischen Mandatare verhaftet. Das Wiener Rathaus wurde vom Militär besetzt. Der Wiener Bürgermeister Seitz leistete Widerstand: „Ich gehe nicht aus meinem Amtszimmer weg! Zwei Drittel des Wiener Volkes haben mich hierher geschickt; niemand hat das Recht mich von hier zu entfernen“. Doch der 66jährige kranke Mann, wurde gewaltsam gepackt und, da er nicht freiwillig mitkam, ins Polizeigefängnis getragen. Nun war Schluss damit, für die Arbeiterfamilien schöne und billige Wohnungen zu bauen. Wohnungen sollen den Hausherren eine Rente einbringen! Schluss mit Schulreform und Sozialfürsorge. Die Freien Gewerkschaften wurden aufgelöst sowie alle sozialdemokratischen Vereine verboten, und ihr Vermögen beschlagnahmt. Alles, was sich Hunderttausende österreichische Arbeiter in 45 Jahren aufgebaut hatten, war vernichtet. Für den Schutz des Eigentums der Kapitalisten wurde das gemeinschaftliche Eigentum der Arbeiter durch rechtlose Gewalt geraubt. Die Sport- und Jugendvereine, die „Naturfreunde“, der Arbeiter-Abstinentenbund, der Tausende vor dem Alkoholismus bewahrt und damit Menschenwürde und Lebensglück zahlreicher Familien gerettet hat - alles was die Arbeiterbewegung für die Massenkultur geleistet hat, war zu Ende. Für den Einmarsch Hitlers war alles gut vorbereitet. Die Arbeiterbewegung war demoralisiert, ihre Organisationsstrukturen zerstört und jeder Widerstand ausgeschaltet. Die Arbeiter hatten erkannt, dass der Kampf gegen den sich ausbreitenden Faschismus eine Notwendigkeit war. Doch sie haben keine Unterstützung durch die Führung von Partei und Gewerkschaften erfahren. Manche Arbeiter sind aus Enttäuschung über die Niederlage sogar zu den Nationalsozialisten übergelaufen. Angesichts der Schrecken und des unermesslichen Leids, das der Hitlerfaschismus über die Menschen gebracht hat, stellt sich die Frage, wie weit die Parteiführung für die Katastrophe verantwortlich war. Otto Bauer schrieb am 19. Februar nach seiner Flucht unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse in Bratislava:

„Das Parlament war (1933) ausgeschaltet. Die Diktatur etablierte sich. Der Versuch, am 15. März die Arbeit des Parlaments wieder aufzunehmen, wurde von Dollfuß gewaltsam verhindert. Wir hätten darauf am 15. März mit dem Generalstreik antworten können. Nie waren die Bedingungen für einen erfolgreichen Kampf so günstig wie an jenem Tage. Die deutsche Gegenrevolution, die sich eben damals stürmisch vollzog, hatte in Österreich die Massen aufgerüttelt. Die Arbeitermassen erwarteten das Signal zum Kampf. Die Eisenbahner waren damals noch nicht so zermürbt wie elf Monate später. Die militärische Organisation der Regierung war damals weit schwächer als im Februar 1934. Damals hätten wir vielleicht siegen können. Aber wir sind damals vor dem Kampf zurückgeschreckt. Wir glaubten noch, durch Verhandlungen zu einer friedlichen Lösung kommen zu können. Dollfuß hatte versprochen, dass er binnen kurzem, Ende März oder anfang April, mit uns über eine Verfassungs- und Geschäftsordnungs-Reform verhandeln werde; wir waren damals noch töricht genug, einem Versprechen Dollfuß’ zu trauen. Wir sind dem Kampf ausgewichen, weil wir dem Lande die Katastrophe eines blutigen Bürgerkriegs ersparen wollten. Der Bürgerkrieg ist elf Monate später trotzdem ausgebrochen, aber unter für uns wesentlich ungünstigeren Bedingungen. Es war ein Fehler – der verhängnisvollste unserer Fehler.“

Quellen: Otto Bauer: Aufstand der österreichischen ArbeiterExenberger/Zoitl: Februar 1934 in Wien.
SPÖ Bruck/Mur: Koloman Wallisch – 50 Jahre 12. Februar 1934.

Foto: bm:bwk

erschienen in: Talktogether Nr. 1/2003

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