Gemeinschaftliches Leben proben Seit Ende Februar ist das leer stehende Gebäude des ehemaligen ARGE-Geländes besetzt. Initiiert wurde diese Aktion von einer Gruppe junger Leute, die einen freien Raum für kulturelle Veranstaltungen gesucht haben, einen Raum um Konzerte, Lesungen und Feste zu veranstalten, und das nicht auf kommerzielle Weise – wie eben sonst immer, – auch in den sog. alternativen Kulturstätten. Mit der Besetzung des zum baldigen Abriss vorgesehenen Gebäudes wollen sie auf dieses Bedürfnis aufmerksam machen. Hier wiederholt sich auch ein Stück Geschichte. Vor fast dreißig Jahren (1977) wurde mit der Besetzung des damals leer stehenden Petersbrunnhofs begonnen, ein Protest, der als Ergebnis schließlich die Errichtung des ARGE-Kulturgeländes zur Folge hatte. Wohnungslos, aber nicht hoffnungslos Das Projekt entwickelte sich jedoch (auch) in eine andere Richtung, als junge Leute das Haus bevölkerten, die ohne Arbeit und Wohnung sind, erzählt die Studentin Sandra. Während die InitiatorInnen einen Freiraum suchen, um ihre Freizeit sinnvoll zu verbringen, sind die Bedürfnisse dieser Jugendlichen anders. Und auch dringender. „Wenn man keinen Platz zum Schlafen hat, kommt Kultur an zweiter Stelle“, meint Sandra, die zwar selbst nicht in dieser Lage ist, aber sich in die Situation hineinversetzen kann. „Viele denken vielleicht, diese Leute wären faul und wollten nur Bier trinken, doch das trifft auf die meisten hier überhaupt nicht zu. Sie wollen gerne arbeiten, aber eben nicht unter Zwang. Wenn man die Möglichkeit hat, eigenständig etwas auf die Beine zu stellen, statt nur herumzusitzen, werden positive Energien freigesetzt“. Mancher Passant ist unangenehm berührt, wenn er von Punks um ein paar Cents für Zigaretten angeschnorrt wird. Doch während viele sich schämen, zuzugeben, keine Wohnung zu haben, wollen Punks ihre Situation nicht verstecken, sondern die gesellschaftlichen Missstände ans offene Tageslicht bringen. Erst vor kurzem erfuhr man in „Salzburg Heute“, dass es in dieser Stadt immerhin 700 wohnungslose Personen gibt, viele davon Jugendliche. Welche Gründe sind dafür verantwortlich, dass Jugendliche auf der Straße stehen? Kann sein, dass sie aus schwierigen Verhältnissen kommen, psychisch labil sind und Schwierigkeiten haben, sich anzupassen. Fest steht, wenn man einmal den Job verloren hat, verliert man auch schnell die Wohnung, umgekehrt ist es genauso. Und wenn man einmal auf der Straße steht, bekommt man nur selten eine Chance. Bei so unterschiedlichen Backgrounds sind Konflikte vorprogrammiert. Doch die Besetzer versuchen diese auf demokratische Weise zu regeln und die Probleme und Bedürfnisse der anderen zu achten. Regelmäßig finden Versammlungen statt, wo das zukünftige Programm durch gemeinsame Diskussion geplant und versucht wird, die unterschiedlichen Bedürfnisse „unter einen Hut zu bringen“. Schließlich soll hier jeder, der mitmachen möchte und sich nicht aggressiv oder destruktiv verhält, einen Platz finden. Angriff von Schlägerbanden Leider ist der Traum der Jugendlichen nicht nur durch die Ignoranz der Politiker (Bürgermeister Schaden: „Ein zweites Punkerhaus kommt nicht in Frage“), sondern auch durch Angriffe von Schlägerbanden bedroht. Bei einem Konzert am Abend des 11.3. wurde die ARGE von einer Bande vermummter Schläger angegriffen, ein Konzertbesucher wurde bei diesem Angriff krankenhausreif geschlagen. Als in Deutschland in einem Nazi-Flugblatt zu einem neuerlichen Angriff aufgerufen wurde, bereitete man sich darauf vor und verwandelte das Haus in eine Festung. Die Nazis ließen sich jedoch nicht blicken. Die Gesellschaft hat es in den letzten Jahren und Jahrzehnten verabsäumt, die Jugendlichen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen und der zunehmenden Perspektivenlosigkeit entgegenzuwirken. Die Konsum- und Leistungsgesellschaft engt die Kreativität der heranwachsenden Menschen ein, verstärkter Alkoholkonsum und Gewaltbereitschaft sind nur die Symptome der Orientierungslosigkeit vieler junger Menschen. Man fragt sich: Wie viel – oder wie wenig – ist die zukünftige Generation der herrschenden Gesellschaft überhaupt wert? Gemeinsame Arbeit Im besetzten ARGE-Gebäude haben die Jugendlichen einen Raum gefunden, gemeinschaftliches Leben abseits vom kapitalistischen Zwang zu proben – zumindest vorübergehend, denn die drohende Räumung ist stets präsent. Hier haben sie eine Möglichkeit gefunden, ihre Kreativität zu entfalten: Die Jugendlichen renovieren das Gebäude gemeinsam, in der Gemeinschaftsküche wird gekocht, es gibt auch Pläne, eine Werkstatt einzurichten. Die oft als „arbeitsunwillig“ und „faul“ bezeichneten Jugendlichen beweisen hier Gemeinschaftssinn, Verantwortungsgefühl und Organisationstalent. Denn jeder Mensch hat Talente und den Wunsch schöpferisch zu sein, wenn er nur die Chance dazu bekommt. Wir fragen, was nach der Räumung passieren wird. Sollte das Engagement der Jugendlichen ohne Resultat beendet sein? „Nein, unser Ziel ist nicht nur kurzfristig und beschränkt sich nicht auf dieses Haus“, erfahren wir, „wir blicken weiter in die Zukunft. Bei unseren Versammlungen sprechen wir über Pläne, wie wir weiter vorgehen“. Die Forderung an die Stadtregierung lautet, freie Gebäude zur Verfügung zu stellen, wo junge Menschen leben, ihre Bedürfnisse befriedigen und sich kulturell entfalten können.“ erschienen in: Talktogether Nr. 16/2006
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