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Der Erste Mai – Feiertag der

Arbeiterklasse

Dass der 1. Mai ein Feiertag ist, ist für viele eine Selbstverständlichkeit. Doch immer weniger Menschen wissen, warum der 1. Mai zu einem ganz besonderen Festtag für die Arbeiterklasse wurde.

„Die Soldaten sind in Bereit­schaft, die Thore der Häuser werden geschlossen, in den Wohnungen wird Proviant vor­bereitet wie vor einer Belage­rung, die Geschäfte sind ver­ödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse, auf allen Gemüthen lastet der Druck einer schweren Sorge“, mit diesen Worten beschwor die Presse am 30. April 1890 den Untergang des Abendlan­des herauf. Die Soldaten sind letztendlich nicht ausgerückt, und die Straßen Wiens waren am 1. Mai 1890 belebter als sonst. Nicht nur in Wien sondern in ganz Europa gingen Millionen Arbeiter an diesem Tag auf die Straße um für den 8-Stunden-Tag zu de­monstrieren. An diesem Tag führte die Arbeiterbewegung die Menschen heraus aus dem Schatten Jahrhunderte langer Knechtschaft und Unterwürfigkeit.

Jahrtausende lang wurden Menschen als Sklaven oder Leibeigene ausgebeutet, unterjocht und geknechtet. Doch erst in der Zeit der Industrialisierung entdeckte man die Vorzüge des „freien“ Arbeiters, der seine Arbeitskraft selbst und aus freien Stücken auf den Markt trägt, und den man auch jederzeit wieder entlassen kann, ohne sich um seinen Unterhalt zu sorgen. Und genau dieser Arbeiter, frei von jeder traditionellen Bindung an Herrn und Boden war es, der nun mit neuem Selbstbewusstsein offen für seine Rechte eintrat und so ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte einleitete.

Chicago, Haymarket 1886

Die Idee, den 1. Mai als weltweiten Aktionstag zu begehen, wurde am Gründungskongress der 2. Internationale im Juli 1889 in Paris geboren. Man erinnerte damit an die blutigen Ereignisse vom 1. Mai 1886 am Haymarket von Chicago. Eine Wirtschaftskrise am Ende des 19. Jahrhunderts hatte in den USA eine Welle der Arbeitslosigkeit ausgelöst, Armut und Elend nahmen noch nie dagewesene Formen an. Bereits 1872 demonstrierten die Hungernden mit Schildern: „Brot oder Blut!“ Blut bekamen sie, doch das war erst der Anfang des Kampfes. Ein Großteil der Arbeiter waren EinwanderInnen aus Deutschland, Irland, Böhmen, Frankreich, Polen und Russland, die die Erfahrungen aus der Arbeiterbewegung ihrer Heimatländernmitgebracht hatten. 1871 hatten sich die Arbeiter von Paris erhoben, daraufhin versuchten die Herrschenden Europas die Arbeiterbewegung mit Gewalt zu ersticken. Doch das Feuer loderte wieder auf, an einer unerwartenden Ecke, in einer im Aufschwung begriffenen Industriestadt am Rand der nordamerikanischen Prärie.

Zentraler Punkt der Forderungen der amerikanischen Arbeiter war der 8-Stunden-Arbeitstag, der mit einem Generalstreik durchgesetzt werden sollte. Und so kam an diesem Ersten Mai kein Rauch aus den Schornsteinen der Fabriken. Hunderttausende in Chicago und anderen Städten der USA versammelten sich zu Protestmärschen und Kundgebungen. Die Rebellion wurde blutig niedergeschlagen, ihre Führer wurden verhaftet, jedoch gab der Kampf der Arbeiter von Chicago den Proletariern in aller Welt Kraft und Inspiration. Kurz vor seiner Hinrichtung sagte der Arbeiterführer August Spies: „Es wird eine Zeit kommen, da wird unser Schweigen machtvoller sein als die Stimmen, die ihr heute zum Schweigen bringen wollt!“

Der 1. Mai in Österreich

Gegen den Widerstand der Obrigkeiten wurde der 1. Mai ein Kampftag zur Mobilisierung und Solidarisierung der Arbeiter in der ganzen Welt. Da Versammlungen verboten waren, „blieb nur der gemeinsame Ausflug in benachbarte Gartenlokale übrig. Das Mitführen von Fahnen war selbstverständlich auch nicht gestattet, darum wählte man die rote Nelke im Knopfloch als Abzeichen der Gleichgesinnten.“ Anders als in den USA verlief der 1. Mai 1890 in Öster­reich unblutig. Es kam jedoch im Vorfeld zu spontanen Streiks und Demonstrationen. Damals betrug die durchschnittliche Ar­beitszeit zwischen 12 und 19 Stunden pro Tag. Trotz eines Versammlungsverbots der k. und k. Regierung „spazierten“ Hunderttausende Menschen pünktlich um 17 Uhr in den Wiener Prater, um das Lied der Arbeit anzustimmen.

Auch in den kommenden Jahrzehnten blieb der 1. Mai ein zentraler Tag der Arbeiterklasse, um sozialpolitische Forderungen zu erheben, war jedoch von zahlreichen Repressionen begleitet. Erst im Jahr 1919, nach dem Ende der Monarchie, wurde der 1. Mai ein Staatsfeiertag. Die Maifeiern, die bisher im Prater stattgefunden hatten, wurden nun ins Zentrum der Stadt auf den Rathausplatz verlegt. Nach elf Jahren Unterbrechung durch Faschismus und Nationalsozialismus wurde der 1. Mai 1945 erstmals wieder begangen und als Fest der Befreiung gefeiert.

Neue Herausforderungen

Am Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Arbeiterbewegung vor neuen Herausforderungen. Der 8-Stunden-Arbeitstag, der von der Arbeiterbewegung durch harte Kämpfe und unter großen Opfern durchgesetzt worden ist, wird zunehmend aufgeweicht, große Teile der Produktion werden in Länder verlegt, in denen die ArbeiterInnen der Ausbeutung weitgehend rechtlos ausgeliefert sind. Deshalb wird es immer mehr die Aufgabe der Arbeiterbewegung sein, Bündnisse zu schließen und sich international zu vernetzen. Dabei könnte der Erste Mai als Symbol für den Zusammenschluss der Arbeiterklasse aller Länder wieder zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Der Erste Mai – ein Tag der ImmigrantInnen!

Am 1. Mai 1886 kämpften die Arbeiter von Chicago für ihre Rechte – viele von ihnen Einwanderer aus Europa, die ihre Heimat wegen Hunger und Unterdrückung verlassen und in Amerika auf ein menschenwürdiges Leben gehofft hatten. 120 Jahre später griffen die EinwanderInnen der USA diese Tradition auf und legten Teile des Landes für einen Tag lahm.

2004 versuchte der mexika­nische Filmemacher Sergio Arau mit der Komödie „Ein Tag ohne Mexikaner“ das Unsichtbare sichtbar zu ma­chen. Im Film sehen wir zuerst die Mauer entlang der Südgrenze Kaliforniens, die aus Panzerrampen aus dem Ersten Golfkrieg zur Ab­wehr der Einwanderer er­richtet wurde. Wütende „Grenzschützer“ stehen da­vor uns schreien: „Ihr nehmt uns unsere Arbeit weg! Ihr bringt Dro­gen! Ihr stehlt uns unsere Kultur!“ Eines Morgens geht ihr Wunschtraum in Er­füllung. Entlang der Grenzmauer herrscht ein undurchdringlicher Nebel und ein Drittel der Einwohner Kaliforniens - die gesamte lateinamerikanische Bevölke­rung - ist plötzlich spurlos verschwunden. Die zurückgelassene Bevölkerung erkennt jedoch bald, dass ohne die „Mexikaner“ nichts mehr wie gewohnt funktioniert. Die illegalen Erntearbeiter fehlen ebenso wie die die Volkschullehrerinnen und der freundliche Mann vom Wetter­dienst, in der Staatskasse fehlen die Sozi­alversicherungsbeiträge. Der Müll bleibt liegen, die Küchen bleiben kalt, Baustel­len werden geschlossen, in den Städten setzen Panikkäufe ein, ehemalige Dro­genhändler dealen jetzt mit Tomaten, weil nichts mehr geerntet wird. Das Un­sichtbare wird erst sichtbar, wenn es ver­schwunden ist.

Vom Film zur Wirklichkeit

Zwei Jahre später wurde das Szenario zur Wirklichkeit, aber nicht durch ein Mysterium wie im Film, sondern durch eine geplante Aktion. Am 1. Mai 2006 leerten sich in zahlreichen Städten der USA die Fabriken, Schulen und Restaurants. Unter großen persönlichen Risiken traten Millionen ImmigrantInnen aus dem Schatten und gingen erhobenen Hauptes auf die Straße, um gegen die unmenschlichen Einwanderungsgesetze zu demonstrieren und ihre Rechte als menschliche Wesen einzufordern. Das Leben der MigrantInnen ist gefährlich: Sie riskieren ihr Leben beim Überqueren der Grenze, werden von „La Migra“ (Immigrationsbehörde) gejagt und sterben dann langsam bei der knochenbrecherischen Arbeit in den Plantagen und Sweatshops.

Selbst in Kleinstädten und ländlichen Regionen, die kaum jemals zuvor eine politische Aktion gesehen haben, marschierten die EinwanderInnen am internationalen Feiertag des Prolariats auf den Straßen, um sich gegen die Unterdrückung und Ausbeutung zu wehren. In Florida und Kalifornien – wo MigrantInnen mit und ohne Papiere etwa 35 Prozent aller Arbeitskräfte darstellen - standen alle landwirtschaftlichen Betriebe still, in Florida darüber hinaus auch restlos alle Baustellen. In den Bundesstaaten des Mittelwestens blieben die drei größten Fleischverarbeitungsfabriken der USA geschlossen. In Los Angeles stand das riesige Textilzentrum völlig still, viele Lebensmittelläden blieben zugesperrt und die Häfen von Los Angeles und Long Beach wurden geschlossen.

Der Erste Mai - Tag der internationalen Solidarität

Sollen wir die Einwanderer lieben, weil sie unseren Dreck wegräumen oder weil sie unsere Sozialversicherungsbeiträge einzahlen? Das System verlangt nach immer billigeren Arbeitskräften; wenn ein Teil der EinwanderInnen integriert ist, braucht es wiederum die rechtlosen „Illegalen“. Denn nur die Konkurrenz zwischen den Arbeitern ermöglicht dem System, die Löhne niedrig zu halten. Die EinwanderInnen haben einen bedeutenden Anteil am stetig wachsenden Bruttoinlandsprodukt der Industrieländer. Doch der Zustrom lässt sich nicht einfach an- und abstellen. Deshalb sichert sich Norden mit stark bewachten und tödlichen Grenzen gegen die überzähligen EinwanderInnen aus dem Süden ab - an der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko ebenso wie an den Zäunen von Ceuta und Mellila.

Nur durch Einigkeit sind wir stark

Uns wird immer gesagt, dass freie Marktwirtschaft und Konkurrenz die Motoren der Wirtschaft seien und dass nur sie uns den Wohlstand sichern können. Doch während sich die Entwicklung auf einige Regionen konzentriert, werden andere vernachlässigt, isoliert und regelrecht entvölkert. Ohne Armut und Elend der anderen gibt es auch keine willigen und billigen Arbeitskräfte. Was ist das jedoch für eine Wirtschaft, die auf der einen Seite Überfluss schafft, auf der anderen Seite den Menschen all ihre Lebensgrundlagen entzieht und sie zwingt auszuwandern, nur um ihr Überleben zu sichern? Können wir darauf hoffen, dass dieses räuberische System durch Reformen gebändigt wird? Oder sollen wir unsere Kräfte bündeln und für eine Welt kämpfen, in der der Mensch nicht länger als Ware angesehen wird, sondern mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht? Erinnern wir uns heute an die Tradition des Ersten Mai als internationalem Tag der Arbeiterklasse und solidarisieren uns mit den Anliegen der MigrantInnen. Denn ihre Anliegen sind auch unsere. Und wenn wir etwas verändern wollen, können wir es nur gemeinsam schaffen.

erschienen in: Talktogether Nr. 20/2007